Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
abwartend an. Keller führte also aus: »Ein Pfleger aus Ihrem Bereich wurde erschossen. Diesmal kann es Wollschläger unmöglich vorbereitet oder veranlasst haben.«
»Noch ein Mord? Schrecklich.« Bartels fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Aber warum rücken Sie von Ihrem Anfangsverdacht ab? Wer Narkosegeräte kurzschließt und Autobremsen manipuliert, der findet auch einen Weg, um einen unliebsamen Krankenpfleger loszuwerden.«
»Das ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich«, entgegnete Keller. Sie waren am Rand der Terrasse angelangt und lehnten sich an eine Brüstung. Von hier aus bot sich ihnen ein weiter Blick über die Baumwipfel des angrenzenden Kiefern- und Fichtenwaldes.
»Ah, jetzt verstehe ich«, sagte der Arzt. »Sie ziehen Ihren eigenen Verdacht zurück, weil Sie mich in Sicherheit wiegen wollen. Sie wollen verhindern, dass ich mich als nächstes Opfer sehe und durchdrehe?« Bartels schmaler Mund wurde von einem Lächeln umspielt, als er sagte. »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wie schon gesagt: Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
Keller spürte trotz seiner Skijacke, die er trug, die Kälte. »Nein, darum geht es nicht«, sagte er bibbernd. »Im Übrigen darf ich Ihnen nicht länger vorenthalten, dass ich nicht in offizieller Mission bei Ihnen bin. Sie stehen einem Privatmann gegenüber. Ich führe dieses Gespräch aus persönlicher Motivation heraus.«
»So?« Bartels wirkte überrascht. »Dann verstehe ich nicht ganz, warum …«
»Wollen wir nicht wieder reingehen?«, schlug Keller vor. »Es ist ziemlich frostig hier draußen.«
Bartels blieb unbewegt stehen. »Sagen Sie mir bitte: Was genau hat Sie zu mir geführt? Was erwarten Sie von mir zu hören?«
Ein Einsatzkommando war unterwegs nach Schwaig. Auf den Weg geschickt von Hauptkommissar Winfried Schnelleisen, um Prof. Dr. Hancke auf seinem privaten Anwesen, einer dem Vernehmen nach mondänen Villa, festnehmen zu lassen. Für Schnelleisen blieb mangels Alternativen der Ärztliche Direktor des Südklinikums der Verdächtige Nummer eins – und Jasmin Stahl hatte nicht die geringste Chance, ihn von diesem Unterfangen abzuhalten.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf sich selbst gestellt ihrem eigenen Verdacht nachzugehen und denjenigen zu suchen, dem Rolfs und Annes größter und letzter Erpressungscoup gegolten hatte. Auf dem Weg zurück in Präsidium zermarterte sie sich das Gehirn, denn kein einziger konkreter Hinweis und kein sonstiger Anhaltspunkt half ihr bei der Gedankenarbeit. Alles, woran sie sich festhalten konnte, war eine sehr vage Vorstellung von dem, was hinter den Todesfällen und der fehlenden Fotoreihe aus Rolfs Kellerbüro stecken könnte.
Sie nahm ihre Umgebung kaum wahr, ließ sich im Streifenwagen kutschieren wie ein unbeteiligter Fahrgast im Taxi. Dabei durchspielte sie sämtliche vorstellbaren Szenarien und versuchte sich in die Rollen, in das Denken des Erpresserpärchens einzufinden. Vielversprechend erschien ihr schließlich die Methode, das Jagdrevier der beiden einzugrenzen: Wo hatten Rolf und Anne ihre Opfer gefunden? Samt und sonders unter den Patienten des Südklinikums, wo sie sie ausspähten und die Verführungsmasche ihren Anfang nahm. Folglich musste auch das letzte Opfer, das sich tödlich rächte, unter den früheren Patienten zu suchen sein. Doch die Anzahl der in den vergangenen Wochen und Monaten behandelten Männer dürfte enorm groß sein. Unmöglich, diese auf die Schnelle zu überprüfen.
Es war zum Verzweifeln! Jasmin Stahl schnaubte vor Wut und Frust und zog sich einen skeptischen Blick des Fahrers zu.
Keller, dem die an den Beinen emporsteigende Kälte zu schaffen machte, war drauf und dran, Dr. Bartels gegenüber den Verdacht gegen den Ärztlichen Direktor darzulegen. Angesichts der frostigen Temperaturen auf der Dachterrasse wollte er das Gespräch jedoch abkürzen oder nur die Überleitung für einen ausführlicheren Plausch in der warmen Teeküche vorbereiten: »Um es freiheraus zu sagen, hege ich einen Verdacht gegenüber jemandem aus dem Klinikpersonal. Jemanden aus der hohen Hierarchieebene.«
»Einen von uns?«, fragte Bartels laut, fast aufgebracht.
Keller, von der plötzlichen und heftigen emotionalen Reaktion überrascht, überwand sich dazu, sein Wärmebedürfnis zu unterdrücken und den Arzt an Ort und Stelle in Kenntnis zu setzen.
Er wollte den Namen von Prof. Dr. Hancke bereits aussprechen, doch etwas im Blick von Dr. Bartels hielt ihn
Weitere Kostenlose Bücher