Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
trug, weil ihm Mützen nicht standen, wie er meinte. »Ich kenne dich ja erst seit ein paar flüchtigen Momenten.«
Denise fasste das wohl als eine Art Aufforderung auf, denn nun legte sie erneut ihren Arm um seinen Hals, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen weiteren feuchtwarmen Wangenkuss – diesmal um einiges näher an seinem Mund. »Jetzt kennst du mich schon etwas besser.«
Jochen schmunzelte. »Das genügt mir aber nicht. Du weißt doch: Ich bin Reporter. Journalisten sind chronisch neugierig: Erzähl mir erst mal was von dir! Über dein Leben! Ich weiß ja nicht einmal, wie alt du bist.«
Denise verzog den Mund und schien für einen Augenblick ihre gute Laune und Agilität zu verlieren. »Keine Sorge: Ich bin volljährig. Sonst gibt es nicht viel, was du wissen müsstest. Womit ich mein Geld verdiene, hast du ja selbst gesehen.«
»Ich weiß, dass du in Dessous eine sehr gute Figur abgibst, aber ansonsten bin ich völlig ahnungslos. Also, gib dir einen Ruck und erzähl mir was von dir.«
»Gelernt habe ich Einzelhandelskauffrau«, gab Denise mit sichtlichem Widerstreben preis, denn im Vergleich zu Jochens Job erschien ihr ihre Ausbildung wohl als zu wenig glamourös oder aufregend. »Ich wohne noch bei meinen Eltern, draußen in Langwasser. Einen Bruder habe ich, der ist kleiner. Kam erst acht Jahre nach mir auf die Welt. Hast du auch Familie? Bist du verheiratet?«
Diese Frage kam ziemlich unvermittelt, fand Jochen. Hatte Denise wohl schon schlechte Erfahrungen mit Herren seines Alters gemacht? Doch er konnte sie beruhigen: »Ich habe noch nicht die Richtige gefunden.« Nun sah er ihr tief in die Augen und fügte nach einer rhetorischen Pause hinzu: »Bis heute.« Das war eine alte Masche von ihm, aber er meinte es jedes Mal aufs Neue wirklich ehrlich.
Denise wurde angesichts dieser Offenbarung etwas nervös. Statt aufs Ganze zu gehen und ihm einen dritten Kuss zu geben – diesmal auf den Mund – widmete sie sich dem Glühwein und plapperte drauf los: »Und deine Eltern? Leben sie hier in Nürnberg? Du bist doch kein Zugereister, oder? Nein, sonst würdest du anders sprechen. Kommst du aus einer großen Familie? Hast du Geschwister, oder bist du Einzelkind?«
»Wir sind eine waschechte Nürnberger Sippe. Wenn wir mehr Geld und Einfluss gehabt hätten, hätten es meine Vorfahren sicherlich bis zum Stand einer Patrizierfamilie gebracht«, ließ Jochen das Gespräch weiter auf der Smalltalk-Ebene plätschern. »Mein Vater ist Beamter bei der Kripo, meine Mutter die klassische Hausfrau. Dann gibt es noch einen Bruder, der ist Tierarzt, und ein Schwesterlein, das mal ein großer Schauspielstar werden will.«
»Und deine Freunde? Du hast doch Freunde. Was sind das für Leute?«, fragte Denise ihn weiter aus.
Jochen spürte, dass die junge Frau Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte und sich mit dem krampfhaften Bemühen um eine Fortsetzung des Gesprächs um eine aus Jochens Sicht weitaus lockendere Alternative drücken wollte. Also übernahm er jetzt die Initiative: Er beugte sich zu ihr herunter, spitzte die Lippen und näherte sich der noch immer plappernden Denise Zentimeter um Zentimeter.
Erst als sich ihre Lippen trafen und sich zu einem innigen Kuss vereinten, riss der Fragenstrom ab.
6
Noch befand sich Hartmut Wollschläger in der Position eines in Gewahrsam Genommenen: verhaftet, aber bislang nicht in die Untersuchungshaft überführt. Es fehlte der Entscheid des Untersuchungsrichters, und bis dieser eintraf, wurde der Tatverdächtige in einer Zelle des Präsidiums und nicht in der Justizvollzugsanstalt an der Mannertstraße festgehalten. Keller wollte diesen Heimvorteil nutzen, um Wollschläger noch einmal auf den Zahn zu fühlen.
Nach wie vor hatte Wollschläger nicht von seinem Recht Gebrauch gemacht, einen Anwalt zu kontaktieren. Somit verboten sich zwar weitere offizielle Verhöre, eine rein informelle Befragung aber durfte Keller durchführen. Diese Interpretation der Rechtslage war nichts weiter als ein juristischer Kniff, der auf tönernen Füßen stand und nicht von langer Dauer sein würde. Doch Keller stand angesichts seiner nahenden Pensionierung ja selbst unter Zeitdruck.
»Sind Sie bereit, mir einige weitere Fragen zu beantworten?«, fragte er den schmalen Mann mit der bleichen Gesichtsfarbe, der ihm gegenüber am Tisch im selben Verhörraum Platz genommen hatte, in dem sie schon einmal gewesen waren. Die beiden Mikrofone standen ebenfalls wieder parat,
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