Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
verkündete Uwe. »Du schließt es an die Schnittstelle des Pkw an, woraufhin es sich automatisch in die verschiedenen elektronischen Systeme einliest und auf Fehlersuche geht. Funktioniert bei fast allen Modellen ab dem Baujahr 1995.«
»Mein T1 stammt aber aus dem Baujahr 1965«, merkte Konrad Keller an.
»Das ist ja das Problem! Wir können all die schönen Hilfsmittel eines heutigen Mechatronikers nicht einsetzen, sondern müssen mit primitivsten Mitteln arbeiten.«
»Genau«, trumpfte Konrad auf. »Nämlich mit Herz, Verstand und Bauchgefühl. Darin liegt ja der Spaß an der Freud.«
Uwe kräuselte die Stirn. »Angesichts des strikten Terminplans, den uns deine Frau aufgedrückt hat, spielen weder Herz, Verstand und erst recht kein Bauchgefühl eine Rolle. Mensch, Konrad, wir bringen diese Schüssel nie im Leben zum Rollen, wenn wir nicht mehr Zeit investieren.«
»An Zeit sollte es mir demnächst ja nicht mangeln«, sagte Konrad und klang dabei reichlich fatalistisch.
»Wenn du auf deine Pensionierung anspielst, kann ich nur sagen: Sei froh, dass dir der Öffentliche Dienst diesen frühen Berufsausstieg ermöglicht. Bei uns in der freien Wirtschaft ist das leider nicht mehr möglich. Die Zeiten des goldenen Handschlags sind vorbei. Ich muss noch etliche Jahre ran, wenn ich kein Geld verschenken will.«
»Ja, ja, schon gut, ich habe verstanden, du bemitleidenswerter Mensch. Dafür verdienst du aber Etliches mehr als ich.« Mit diesen Worten wandte sich Keller wieder dem Objekt seiner Begierde oder vielmehr seinem Steckenpferd, Hobby und Zeitfresser Nummer eins zu: dem VW Bulli T1, der in der Realität als unlackiertes, räderloses und fahruntüchtiges Wrack vor ihm stand, in seiner Fantasie aber längst unterwegs war in Richtung Gardasee.
Mit angehängtem Ruderboot würde der Bulli-Ausflug noch mehr Spaß machen, malte er sich aus. Der VW-Campingbus der ersten Generation würde kurzerhand mit einem Bootstrailer zum Gespann gemacht – und schon wäre ein aktives Wochenende oder ein Urlaub am Meer garantiert. Denn der T1 stand für ihn als ein Symbol für ungezwungenen Freizeitspaß. Was er gemeinsam mit Uwe in schweißtreibender Handarbeit und mit wirklich viel Herzblut schuf, würde ein Klassiker mit zeitgenössischem Charakter werden. Das Karosserieoberteil plante er in perlweiß, das Unterteil in sonnengelb zu halten. Selbstverständlich würde er einen stilechten, silbergrauen Gepäckträger aufs Dach setzen und die Fenster mit Gardinen ausstatten. Der Gedanke daran, woher er ein passendes Boot bekommen sollte, holte ihn jedoch schnell in das Hier und Heute zurück: »Wir haben noch einen Haufen Arbeit vor uns, was?«, fragte er mit skeptischem Blick auf das unfertige Vehikel.
Uwe nickte und wischte sich mit einem Tuch über die ölverschmierte Stirn. »Billiger und einfacher wäre es, wenn du dir einen T3 oder T4 zulegst.«
»Das ist nicht das Gleiche«, tat Keller den Vorschlag ab und rüstete sich innerlich für eine leidenschaftliche Diskussion über die Vorzüge des ersten und einzig wahren VW Bullis.
Doch dazu kam es nicht. Kellers Handy, abgelegt auf einem Montagekasten, machte sich mit einem anschwellenden Klingeln bemerkbar, das Keller für Anrufe aus dem Präsidium programmiert hatte. Mit zwei schnellen Schritten erreichte er den Kasten und schnappte sich das Handy: »Ja?«, meldete er sich knapp.
»Wir haben noch einen Toten«, meldete sich Kommissarin Stahl. »Arbeitsunfall.«
Keller wunderte sich einen winzigen Moment darüber, warum ihn die Kommissarin mit einem Unfall behelligte. Als er sich vergegenwärtigte, dass Jasmin Stahl sowohl über eine schnelle Auffassungsgabe, als auch über ein gutes Gespür verfügte, hielt er sich mit der Frage nach dem Warum zurück und wartete auf weitere Erklärungen.
Die lieferte Jasmin Stahl auf dem Silbertablett: »Ich bin durch Zufall auf diesen Vorgang gestoßen: Der Kriminaldauerdienst ist hinzugezogen worden, nachdem ein Arzt wegen eines tödlichen Stromschlags gerufen worden war. Die Kollegen haben nach erstem Augenschein auf Unfall getippt.«
»Sie aber nicht?«, fragte Keller.
»Das kann ich nicht behaupten. Ich will ja niemandem seine Kompetenz absprechen.«
»Machen Sie es nicht so spannend, junge Kollegin«, forderte Keller sie auf. »Was hat Ihr Misstrauen erregt?«
»Der Ort des Geschehens: schon wieder die Kinderchirurgie des Südklinikums.«
8
Bei dem Toten handelte es sich um Dr. Frank Beierlein, Anästhesist, 37 Jahre
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