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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Freunde« des Vaters (die sich das ganze letzte Jahr nicht hatten blicken lassen, nun waren sie plötzlich wieder da). Zuerst schleppten sie Fandorin zum Junggesellenfrühstück ins »Prag«, eine Kneipe am Arbat, wo er viele derbe Rippenstöße bekam, man zwinkerte ihm zu und bekundete aus unerfindlichen Gründen Beileid. Dann ging es zurück ins Hotel, ein Friseur namens Pierre erschien und zerrte ihn lange und schmerzhaft an den Haaren, bis sie eine schwungvolle Tolle ergaben. Lisanka durfte er vor dem Kirchgang nicht mehr sehen, was gleichfalls äußerst peinigend war. In den drei Tagen seit seiner Ankunft aus Petersburg, wo der Bräutigam nunmehr Dienst tat, hatte er sie ohnehin kaum gesehen – immerzu war sie von Hochzeitsvorbereitungen in Anspruch genommen.
    Schließlich hatte der gute alte Xaveri Gruschin als Hochzeitsmarschall in Frack und weißer Schärpe, puterrot im Gesicht von den Anstrengungen des Junggesellenfrühstücks, den Bräutigam neben sich in eine offene Kutsche gesetzt undwar mit ihm zur Kirche gefahren. Während Fandorin auf den Stufen gestanden und auf die Braut gewartet hatte, erschollen Rufe aus der Menge, ein Fräulein warf eine Rose nach ihm, die ihm die Wange zerkratzte. Endlich wurde Lisanka gebracht, kaum zu erkennen unter den wogenden Schleiern. Seite an Seite standen sie vor dem Analogion, der Chor sang, der Priester sprach sein »Denn ein barmherziger und menschenliebender Gott bist Du« und noch einiges andere, die Ringe wurden getauscht, sie nahmen Aufstellung auf dem Teppich, und endlich sprach Lisanka diese Worte über die arme Lisa, welche Wunder bewirkten: Ruhe kehrte in ihn ein, er sah um sich, erkannte Gesichter, schaute in die hohe Kirchenkuppel, und ihm wurde wohl.
    Das Wohlgefühl hielt an, während alle kamen und mit herzlichen, innigen Worten gratulierten. Besonders gefiel ihm der Generalgouverneur, ein dicker, gutmütiger Mann mit rundem Gesicht und Hängeschnauzer. Er habe schon viel Schmeichelhaftes über Fandorin gehört, sagte er, und wünsche von Herzen eine glückliche Ehe.
    Sie traten vor die Kirche, allgemeiner Jubel empfing sie, doch man sah kaum etwas, da die helle Sonne blendete. Er nahm mit Lisanka in der offenen Kutsche Platz, es duftete nach Blumen.
    Lisanka streifte den langen weißen Handschuh ab und drückte kräftig seine Hand. Verstohlen näherte er das Gesicht ihrem Schleier und sog schnell den Geruch ihrer Haare, ihres Parfüms und ihrer frischen Haut ein. In diesem Moment (sie fuhren gerade durch das Nikitskije-Tor) ging Fandorins Blick zufällig über die Treppe der Auferstehungskirche – und sein Herz krampfte sich jäh zusammen.
    Fandorin sah zwei Knirpse von acht, neun Jahren dort sitzen.Verloren hockten sie in ihren abgerissenen blauen Uniformen zwischen den übrigen Almosensammlern, ihre dünnen Stimmchen intonierten irgendeinen Bittgesang. Neugierig drehten die kleinen Bettelbrüder ihre Hälse nach dem prächtigen Hochzeitskonvoi.
    »Was hast du, mein Lieber?« fragte Lisanka erschrocken, als sie sah, wie bleich ihr Angetrauter geworden war.
    Fandorin antwortete nicht.
     
    Die Inspektion des Geheimkellers unter dem Seitenflügel des Asternats hatte keinerlei Resultate erbracht. Die Bombe unbekannter Bauart war so heftig und dabei so kompakt detoniert, daß das Haus kaum beschädigt, von dem Kellergelaß jedoch so gut wie nichts übrig war. Das Archiv war vollständig vernichtet. Keine Spur von Lady Asters Leiche, außer einem Fetzen Seidenstoff.
    Seines Hauptes (und hauptsächlichen Geldgebers) beraubt, war das weltweite Asternatssystem dem schnellen Verfall preisgegeben. In einigen Ländern waren die Waisenheime vom Staat oder von wohltätigen Gesellschaften übernommen worden, die meisten Institute jedoch hörten schlicht auf zu existieren. Die beiden russischen Asternate wurden per Erlaß des Bildungsministeriums als Brutstätten der Gottlosigkeit und schädlicher Ideen angeprangert und geschlossen. Die Lehrer suchten schleunigst das Weite, ein Großteil der Kinder zerstreute sich in alle Winde.
    Mit Hilfe der bei Cunningham gefundenen Liste gelang es, achtzehn vormalige Asternats-Zöglinge zu identifizieren, was jedoch wenig einbrachte, da sich nicht nachweisen ließ, wer von ihnen der Organisation »Asasel« angehörte und wer nicht. Immerhin führten die Nachforschungen dazu, daß fünf von ihnen (darunter der portugiesischeMinister) ihre Ämter niederlegten, zwei verübten Selbstmord, einer (nämlich der brasilianische

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