Fandorin
Kindern nur Schaden zufügen.«
»Was ist das?« schrie Fandorin und ergriff das Kästchen, das überraschend schwer war. »Eine Bombe?«
»Nun ja«, bestätigte Lady Aster und zeigte ein mitfühlendes Lächeln. »Der Zeitzünder. Die Erfindung eines meiner begabtesten Jungen. Solche Kästchen gibt es mit unterschiedlichen Mechanismen: für dreißig Sekunden, zwei Stunden oder sogar zwölf. Sie zu öffnen und den Mechanismus zu stoppen ist unmöglich. Dieses hier ist auf einhundertzwanzig Sekunden eingestellt. Ich gehe mit meinemArchiv in den Tod. Mein Leben ist vorbei, doch was ich zu leisten vermochte ist nicht wenig. Meine Sache wird fortgeführt werden, und man wird meiner im Guten gedenken.«
Fandorin versuchte den Knopf an dem Kästchen mit den Fingernägeln zu fassen, doch das mißlang. Als nächstes warf er sich gegen die Tür, bearbeitete sie mit Händen, mit Fäusten. Das Blut pulste ihm in den Ohren, im Sekundentakt.
»Lisanka!« stöhnte der todgeweihte Fandorin voller Verzweiflung. »Mylady! Ich will nicht sterben! Ich bin jung! Ich bin verliebt!«
Mitleidig blickte Lady Aster ihn an. Sie rang sichtlich mit sich selbst.
»Könnten Sie mir versprechen, daß Sie ihr Leben nicht dafür verwenden werden, Jagd auf meine Kinder zu machen?« fragte sie leise und sah dem jungen Mann in die Augen.
»Ich schwöre es!« rief Fandorin aus. Er hätte in diesem Moment alles versprochen, was man von ihm wollte.
Nach einer langen, quälend langen Pause lächelte die Lady ihr sanftes, mütterliches Lächeln.
»Gut. Leben Sie, mein Junge, leben Sie wohl. Aber sputen Sie sich, Sie haben noch vierzig Sekunden.«
Sie fuhr mit der Hand unter den Tisch, und die kupferne Tür ging knarrend nach innen auf.
Fandorin warf einen letzten Blick auf die reglos sitzende weißhaarige Frau und die flackernde Kerze, dann sprang er mit Riesensätzen durch den finsteren Gang. Er rannte in vollem Lauf gegen eine Wand, kroch auf allen vieren die Treppe empor; im Kabinett der Lady angekommen, rappelte er sich auf und war mit zwei Sprüngen draußen.
Keine zehn Sekunden später flog die eichene Eingangstür des Seitengebäudes mit einem so wuchtigen Stoß auf, daß sie aus den Angeln zu springen drohte, und ein junger Mann mit krampfhaft verzerrtem Gesicht kam Hals über Kopf die Freitreppe herabgestürmt. Er raste die stille, schattige Straße entlang bis zur nächsten Ecke und blieb dort keuchend stehen. Sah sich um, stand still, wartete.
Sekunden vergingen, in denen nichts passierte. Holdes Sonnenlicht vergoldete die Pappelkronen, auf einer Bank döste eine fuchsrote Katze, irgendwo auf einem Hof gackerten Hühner.
Erast Fandorin griff sich an das wild hämmernde Herz. Sie hatte ihn getäuscht! Vorgeführt wie einen kleinen Jungen! War längst durch den Hinterausgang geschlüpft und über alle Berge!
Er röhrte vor ohnmächtiger Wut, und der Seitentrakt des Asternats schien ihm mit einem Grollen zu antworten. Die Wände erbebten, das Dach schwankte kaum merklich, und von irgendwo tief unten, wie aus dem Schoß der Erde, dröhnte dumpf die Explosion.
LETZTES KAPITEL,
in welchem unser Held von seiner Jugend Abschied nimmt
Fragen Sie einen beliebigen Einwohner unserer alten und ewigen Metropole, wann denn die beste Zeit sei, in den Stand der Ehe zu treten, und Sie werden selbstverständlich zur Antwort bekommen, daß ein vernünftiger und ernstzunehmender Mann, gewillt, sein Familienleben von allem Anfang an auf ein solides Fundament zu stellen, unbedingt gegen Ende September vor den Altar tritt, weil diese Jahreszeit nun einmal ideal dazu angetan ist, auf die lange und friedvolle Reise über den Ozean des Lebens zu gehen. Der September in Moskau ist satt und faul, mit goldenem Brokat und dem Purpurglanz des Ahorns geschmückt wie eine Kaufmannsfrau aus Samoskworetschje in ihrer schönsten Tracht. Legt man die Hochzeit auf den letzten Sonntag, so wird der Himmel gewiß blau sein, azurblau, und die Sonne wird mit Maß und Zartgefühl scheinen, so daß der Bräutigam nicht schwitzen muß unter seinem steifen, hochgeschlossenen Hemdkragen und dem engen schwarzen Frack, die Braut wiederum, in ihrem zauberhaften, luftig-ätherischen Gewand, für das kein passender Name zu denken ist, sich nicht etwa einen Schnupfen holt.
Für den Akt der Trauung die rechte Kirche zu finden ist eine wahre Wissenschaft. Gottlob hat, wer in der Stadt der tausend goldenen Kuppeln wohnt, die Qual der Wahl, wodurch die Verantwortung freilich nicht
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