Fang schon mal ohne mich an - Phillips, C: Fang schon mal ohne mich an
noch, was sie eigentlich von ihrem Leben erwartete, hatte sie ihn abgewiesen. Ihre Hände verkrampften sich bei dem Gedanken an jenen schrecklichen Augenblick. Sie war eine Frau ohne Bindungen, ohne Freunde, ohne Halt. Sie brauchte Zeit, um über alles nachzudenken. Dennoch schnürte sich ihr die Kehle zu, weil sie sich nach ihm sehnte und ihr zum Weinen zumute war.
„Er liebt dich“, sagte Anna Marie.
Molly ließ den Kopf hängen. Sie schluckte, weil sie Hunter ebenfalls liebte und spürte, wie der Abschiedsschmerz sie übermannte. Sie fühlte sich schlecht, weil sie nicht einmal in der Lage gewesen war, ihrem Freund, mit dem sie noch nie geschlafen hatte, wenigstens irgendetwas zurückzugeben.
„Mein Entschluss steht fest“, sagte Molly, obwohl sie an diesen Worten zu ersticken drohte.
Ihre Nachbarin nickte. „Ich dachte mir schon, dass du deine Meinung nicht ändern würdest. In dieser Hinsicht bist du wie ich. Aber ich wollte zumindest versuchen, dich umzustimmen.“ Sie entlockte Molly ein schwaches Lächeln.
„Ich weiß es zu schätzen.“
„Hier. Die Post von heute. Ich habe gesehen, dass du noch keine Nachsendeadresse hast, und wollte sicher sein, dass du sie bekommst, bevor du gehst.“ Sie reichte Molly einen dicken Umschlag.
Molly drehte ihn in ihren Händen und suchte nach dem Absender. Napa Valley, Kalifornien. Merkwürdig. Ihr Vater schrieb doch nur zum Geburtstag und zu Weihnachten. Da hatte er doch noch nie eine Ausnahme gemacht.
„Ich muss wieder reingehen. Ich entwerfe gerade eine Anzeige, um dein Apartment zu vermieten.“ Anna Maries Stimme klang sehr geschäftig, und dennoch spürte Molly, wie sich ihr Magen verkrampfte.
„Du warst eine wunderbare Vermieterin, eine tolle Nachbarin und eine gute Freundin.“ Molly umarmte Anna Marie.
„Danke für alles.“
„Wir bleiben in Kontakt, Molly Gifford. Ich hoffe, du findest irgendwo auf dieser Welt, wonach du suchst.“ Sie winkte noch einmal kurz, bevor sie ins Haus zurückkehrte.
Als Molly in ihrer Jackentasche nach den Autoschlüsseln tastete, fiel der Briefumschlag, den ihr Anna Marie gegeben hatte, zu Boden. Molly hob ihn auf. Der Umschlag schien in ihren Händen zu brennen. Der Drang, möglichst schnell wegzufahren, um die Erinnerungen endlich hinter sich zu lassen, stand im krassen Gegensatz zu ihrer Neugier. Sie wollte sofort nachsehen, was sich in dem Kuvert befand. Die Neugier siegte. Molly öffnete den Umschlag und entnahm ihm eine Karte und einen zusammengefalteten Brief.
Sie überflog zuerst die schöne, rosafarbene Geburtsanzeige. Jennifer, die andere Tochter ihres Vaters, hatte ein Baby bekommen. Mollys Vater war Großvater geworden. Molly, die ihre Halbschwester überhaupt nicht kannte, hätte, außer einem kleinen Stich in der Herzgegend, normalerweise kaum Notiz von dieser Nachricht genommen. Doch der beiliegende Brief änderte alles.
Molly überflog die Zeilen und las und las, so als ob sie glaubte, die Worte könnten beim wiederholten Lesen ihren Sinn verändern. Das taten sie aber nicht.
Ihr war blitzartig schwindelig, weil sie zu atmen vergessen hatte. Während sie sich dazu zwang, tief Luft zu holen, lehnte sie sich mit dem Rücken an den Wagen und las den Brief noch einmal.
Liebe Molly,
wie du siehst, bin ich Großvater geworden. Das ist großartig. Beinahe noch großartiger, als Vater zu werden. Dieser neue Lebensabschnitt hat mich dazu bewegt, einige Entscheidungen, die ich in meiner Jugend gefällt habe, neu zu überdenken. Ich begreife inzwischen viel besser, was biologische Bindungen und Familie bedeuten, und je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr komme ich zu dem Schluss, dass ich dir noch eine Erklärung schuldig bin.
Wir beide wissen, dass deine Mutter eine Frau mit Vergangenheit ist. Das war sie immer schon. Als sie mich heiratete, war sie schwanger und gab ihr Baby als mein Baby aus. Doch schon bald erfuhr ich, dass du das Produkt einer Affäre mit einem Mann warst, den sie kannte, bevor sie nach Kalifornien kam. Er heißt Frank Addams. General Frank Addams, was wiederum erklärt, weshalb deine Mutter lieber den wohlhabenden Besitzer eines Weingutes zum Vater ihres Kindes machen wollte, als einen Mann, dessen militärische Karriere erst am Anfang stand. Ich weiß, dass du nie etwas von mir verlangt hast. Deshalb habe ich das Geheimnis deiner Mutter auch so lange bewahrt. Doch inzwischen weiß ich auch, dass Nahrung und ein Dach über dem Kopf keine Familie ersetzen können.
Deshalb nahm
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