Fangjagd
ihres Gesprächs angefertigt hatte, entsetzt anstarrte: eine bedrohlich wirkende Gasmaske!
24
Tweed nahm auf dem Sofa Platz, und Blanche Signer, die ihn wie ihren Lieblingsonkel behandelte, stopfte ihm ein Kissen in den Rücken. Sie hatte Tweed sehr gern. Er war ein netter Mann, ein freundlicher Mann. Er sah ihr nach, als sie in die Küche ging, und bewunderte ihre geschmeidig-eleganten Bewegungen.
Er lehnte sich gegen das Kissen und sah sich im Wohnzimmer um, weil er feststellen wollte, ob sich hier seit seinem letzten Besuch etwas verändert hatte. Dann fiel ihm das in Silber gerahmte Porträtfoto eines Mittfünfzigers in der Uniform eines Schweizer Obersten auf. Tweed kniff die Augen zusammen, stand auf und trat rasch darauf zu, um es aus der Nähe zu betrachten.
„Das ist mein Stiefvater“, sagte Blanche, die mit einer bereits entkorkten Weinflasche aus der Küche zurück kam. „Er hat mich adoptiert, als meine Mutter – die letztes Jahr gestorben ist – nach ihrer Scheidung wieder geheiratet hat.“
„Merkwürdig, daß mir das Bild noch nie aufgefallen ist“, meinte Tweed bedächtig. „Ein gut aussehender Mann…“ Er gab sich alle Mühe, unbefangen zu wirken.
„Hier!“ rief sie übermütig aus. „Eine Flasche Montrachet – eigens für Sie! Da, sehen Sie nur.“ Sie hielt ihm das mit Kondenswasser benetzte Etikett hin, damit er den Jahrgang würdigen konnte.
„Eigentlich wollte ich um Kaffee bitten…“
„Kommt nicht in Frage!“ widersprach Blanche energisch. „Sie haben eine anstrengende Reise hinter sich. Aus Genf – beziehungsweise aus London, wenn man’s genau nimmt. Und es ist schon nach Mitternacht. Sie brauchen etwas zur Entspannung.“
„Tut mir leid, daß ich so spät komme.“
„Aber Sie haben doch vorher angerufen…“ Sie schenkte die beiden eleganten Weingläser auf dem Couchtisch voll. „Sie wissen doch, daß ich wie Sie eine Nachteule bin – ein Vogel, der die Nacht liebt, der auf Zweigen hockt und klagende Laute ausstößt!“
„Ich glaube, daß es mir heutzutage schwerfallen würde, einen Baum zu erklimmen“, stellte Tweed nüchtern fest.
„Cheers!
Ah, das tut wirklich gut… Sind Sie oft mit Ihrem Stiefvater zusammen?“
„Eigentlich nur sehr selten. Wir verstehen uns überhaupt nicht.
Er geht seinen Weg, ich gehe meinen. Er weiß nicht einmal, wovon ich lebe – das vermute ich zumindest. Andererseits gehört er zu den Leuten, die über fast alles, was in der Schweiz vor sich geht, informiert zu sein scheinen. Er ist übrigens nur Reserveoffizier.“
„Aha“, sagte Tweed und beließ es dabei. „Wahrscheinlich haben Sie in dieser kurzen Zeit noch nichts über den Mann, dessen Namen ich Ihnen genannt habe, in Erfahrung bringen können?“
Blanche trug zu ihren schwarzen Lederjeans eine weiße Bluse, von der sich ihre tizianrote Mähne selbst im gedämpften Licht der Tischlampen sehr wirkungsvoll abhob. Sie hatte ihre flachen Schuhe abgestreift, hockte – neben Tweed auf der Sofalehne und schlug die langen Beine übereinander. Er spürte, daß sie imstande war, ihn ein bisschen aufzuziehen, und wünschte sich in diesem Augenblick eine Tochter wie sie, eine temperamentvolle, gescheite junge Frau, mit der man sich stundenlang unterhalten konnte.
„Ich bin Manfred Seidler vielleicht schon auf der Spur“, antwortete Blanche. „Das Dumme dabei ist nur, das Fragen meines Berufsethos hereinspielen und das Sie sich am Telefon so geheimnisvoll gegeben haben. Ich soll einen Mann aufspüren, der vor kurzem mit einem Schweizer Geschäftsreiseflugzeug aus Wien angekommen ist. Und ich soll versuchen, Informationen über diesen Seidler zu sammeln.
Sind die beiden miteinander identisch?“
„Das weiß ich offen gestanden selbst nicht“, gab Tweed zu.
„Der Mann, der mit dem Flugzeug aus Wien gekommen ist, spielt eine ziemlich wichtige Rolle. Von Seidler vermute ich lediglich, daß er für uns interessant sein könnte. Ich weiß viel über ihn und seine Aktivitäten. Immer am Rande der Legalität, manchmal wahrscheinlich darüber hinaus.“ Er leerte sein Glas, und sie schenkte ihm nach. „Wirklich wunderbar! Was hat Ihr Berufsethos mit diesem Fall zu tun? Etwa wegen eines weiteren Klienten?“
„Sie kluge alte Schlange!“ Blanche fuhr ihm mit einer Hand durchs Haar. Tweed wusste gar nicht mehr, wann die vorletzte Frauenhand ihm durchs Haar gefahren war, aber Blanche verstand es, daraus eine ganz natürliche, Zuneigung verratende Geste zu machen.
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