Fangjagd
du eine Kartei von Leuten mit ungewöhnlichen Berufen angelegt hast. Kannst du bitte nachsehen, ob du darin einen Manfred Seidler findest?“
„Wird gemacht! So, ich gehe jetzt lieber, bevor deine angebliche Verlobte aufkreuzt. Falls ich etwas über Seidler finde, schreibe ich einen Kurzbericht und stecke ihn in den Umschlag mit den Photos. Sollte ich dich dringend erreichen müssen, rufe ich dich an und lege nach dem dritten Klingeln auf. Dann rufst du mich an, sobald du kannst. Okay, Mr. Newman?“
„Okay, Miss Signer…“
Sie beugte sich nach vorn, küsste ihn, stand auf, hängte sich ihre Tasche um und stolzierte davon. Die Bar im Bellevue Palace ist wie viele Bars nur schwach beleuchtet, aber als Blanche zum Ausgang schritt, starrten ihr die meisten Männer nach. Sie blickte geradeaus und schien das Aufsehen, das sie erregte, gar nicht wahrzunehmen. An der Tür begegnete sie Nancy Kennedy, die eben hereinkam.
Newman hatte Blanches Glas mit den Lippenstiftspuren auf den nächsten Tisch gestellt, sobald sie gegangen war. Jetzt stand er auf, um Nancy zu begrüßen. Als sie näher kam, sah er ihr sofort an, daß irgend etwas passiert sein musste.
„Dieser Mann hat wieder angerufen!“ sagte Nancy, während sie neben Newman auf der Polsterbank Platz nahm. „Der Kerl, der dich schon in Genf sprechen wollte. Seidler? Hieß er nicht so? Ich hab’ ihm gesagt, daß du erst ziemlich spät zu erreichen sein würdest. Seine Stimme hat sehr aufgeregt geklungen. Er hat einfach eingehängt, als ich fragte, ob ich dir etwas ausrichten soll.“
„Das ist jetzt meine Strategie, Nancy. Aufregung! Alle sollen sich aufregen. Bis zu seinem nächsten Gespräch mit mir wird er vor Ungeduld beinahe zerplatzen – und das macht ihn um so gefügiger. Das gleiche gilt für die Leute in der Klinik Bern.
Dort muss ich allerdings ein bisschen übertrieben haben“, fügte er bedauernd hinzu. „Sonst hätten sie nicht versucht, uns auf der Autobahn umzubringen…“
„Uns?“
„Dich auch, vermute ich.“ Newmans Lächeln war schlagartig verschwunden. „Ich schenke dir reinen Wein ein, damit du dich in acht nimmst. Du fährst vor allem nicht ohne mich nach Thun, verstanden?“ Er wartete ihr Nicken nicht erst ab. „Im Auto hast du davon gesprochen, daß in Jesses Zimmer irgend etwas fehlt. Was?“
„Du hast ein gutes Gedächtnis…“
„Das brauche ich in meinem Beruf. Aber du sollst meine Frage beantworten!“
„Warum bist du so schlechter Laune?“ Nancy zuckte mit den Schultern. „In seinem Zimmer fehlt eine Uhr – ein Wecker auf dem Nachttisch, eine Armbanduhr an seinem Handgelenk.
Jesse kann nicht kontrollieren, wie die Zeit vergeht. Damit erreicht man eine Desorientierung der Versuchsperson. Das weiß ich aus der Psychiatrie…“
„Okay, er hat also keine Uhr“, stimmte Newman zu. „Das ist allerdings merkwürdig.“
„Und Novak hat die Wahrheit gesagt. Jesse wird tatsächlich mit Natriumamytal ruhig gestellt.“ Nancy griff in ihre Handtasche, holte eine blaue Kapsel aus dem Reißverschlußfach und hielt sie Newman hin. „Hier ist’s zu dunkel, aber das ist eine Sechzigmilligrammdosis mit der Kennzeichnung F dreiundzwanzig. Jesse hat sie mir heimlich gegeben, während du mit Novak gesprochen hast.
Deshalb ist er auch wach gewesen.“
„Vielleicht bin ich etwas begriffsstutzig, aber ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.“
„Jesse lässt die Kapseln geschickt verschwinden, wenn er sie schlucken soll. Anstatt sie einzunehmen, versteckt er sie in der Handfläche.“
„Wie wird er sie dann aber los?“
„Er läßt sie hinter das Lüftungsgitter fallen, hinter dem auch das Tonbandgerät versteckt ist.“
„Das ist gut!“ kommentierte Newman grinsend. „Und clever dazu. Jedenfalls nicht die Reaktion eines Kranken, der nicht mehr richtig im Kopf ist. Mir ist übrigens noch etwas anderes eingefallen. Kein Mensch hat auch nur erwähnt, daß Jesse angeblich an Leukämie erkrankt ist.“
„Nur weiter so, dann bist du bald so gut wie ich“, meinte Nancy zufrieden. Aber ihre gute Laune verflog ebenso rasch, wie sie gekommen war. „Trotzdem bekommt er ständig Beruhigungsspritzen. Er hat mir seine Armvene gezeigt – sie ist schon von Einstichen übersät. Diese Verbrecher pumpen ihn mit Beruhigungsmitteln voll. Wir können von Glück sagen, daß wir zufällig einen Kapseltag erwischt haben. Kannst du nicht raus kriegen, was dort wirklich gespielt wird, wenn du dich morgen Abend mit Novak
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