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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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Zeit Gewehrkugeln um uns herum eingeschlagen. Glücklicherweise schienen die Männer keine geübten Schützen zu sein. Als ich den rettenden Wald erreicht hatte, hielt ich kurz an, um Atem zu holen. Es war völlig abartig, was hier abging. Ich holte mein Handy raus, doch ich hatte keinen Empfang. Mir blieb nicht viel Zeit, die Männer stapften ja schon in meine Richtung über die Lichtung. Die Shipis hatte ich längst aus den Augen verloren, ich hörte aber das trockene Laub rascheln, sie mussten noch in der Nähe sein. Ich hetzte weiter, bis ich keine Luft mehr bekam. Mein Gesicht und meine Arme wurden voll zerkratzt, als ich durch die Sträucher kroch, um mich zwischen zwei Baumwurzeln zu verstecken, die aus der Erde ragten. Ich presste mich auf den Boden und versuchte, nicht zu keuchen. Es war absolut still, Mann, nur von weit her war so ein bekloppter Vogel zu hören. Keine Ahnung, wie lange ich dalag, aber irgendwann raschelte es ganz in der Nähe. Als ich aufblickte, stand einer der Russen direkt über mir. Er hatte mich nicht entdeckt, weil ich unter den Wurzeln und vom Laub der Bäume und Büsche einigermaßen geschützt war, aber das hieß noch gar nichts. Ich hielt den Atem an und rührte mich nicht. Der Russe guckte sich mit zusammengekniffenen Augen um, dann zündete er sich eine Zigarette an und stapfte weiter. Vorsichtig richtete ich mich auf. Er lief jetzt den Abhang hinunter, ich konnte seinen breiten Rücken sehen und das Gewehr, das über seiner Schulter baumelte. Er überquerte den Bach am Grund des kleinen Tobels und stieg dann auf der anderen Seite des Abhangs hoch, als ich plötzlich eine Bewegung zwischen den Bäumen wahrnahm. Ich erkannte Edi, oder vielleicht war es auch Ardim, ich war mir nicht ganz sicher. Aus der Entfernung sahen sie sich ziemlich ähnlich in ihren engen T-Shirts und den gegelten Haaren. Ich tippte aber eher auf Edi. Er schlich geduckt über die Kuppe, den Rücken mir und dem Russen zugedreht, und beobachtete irgendwas, das sich auf der anderen Seite des Abhangs abspielte. Der Russe stieg immer höher, glücklicherweise versperrten ihm die Baumstämme die Sicht. Fieberhaft überlegte ich, wie ich Edi warnen könnte. Ich hab keine Ahnung, wie man einen Eichelhäher oder sonst so einen Vogel nachahmt, und um Steinchen zu werfen, war die Distanz viel zu groß. Mein Puls hämmerte und mir brach der Schweiß aus. Dann sprang ich auf und schrie: ›Pass auf, Edi!‹ Edi schnellte herum, erblickte zuerst mich, dann den Russen, und rannte los. Doch mit ein paar Riesensätzen, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, war der Russe auf gleicher Höhe, seelenruhig legte er das Gewehr an und zielte.
    ›Edi!‹, schrie ich, dann dröhnte ein Schuss. Edi warf die Arme in die Luft, stolperte und rutschte den Abhang hinunter, überschlug sich ein paarmal, bevor er reglos liegen blieb. Entsetzt starrte ich auf seinen leblosen Körper. Dann sah ich den Russen mit angelegtem Gewehr den Abhang hinunterrennen. Auf mich zu.«
    Philipp atmete heftig ein, immer schneller hatte er gesprochen, während sich die Finger seiner gefalteten Hände ineinander verkrampft hatten, als suche er Halt. Er schenkte sich jetzt doch noch einen weiteren Kirsch ein. »Was ich befürchtet hatte, war jetzt Tatsache: Sie machten Jagd auf uns.« Philipp leerte das Glas in einem Zug, sein Kehlkopf zuckte nervös. »Menschenjagd.«
    Ich erinnerte mich daran, was Seeholzer zu mir gesagt hatte. Dass ihn die Jagd auf Tiere auf Dauer langweilte und dass er sich spannenderes und intelligenteres Wild wünschte. Blauäugig, wie ich war, hatte ich gedacht, er betreibe ein wenig Small Talk. Nicht ansatzweise hatte ich geahnt, was er damit wirklich andeutete. Erst, als ich da oben im Gras gekauert war und das Treiben in der Berghütte beobachtet hatte, war mir klar geworden, um was es bei diesen Jagdausflügen wirklich ging. Philipp hatte mir soeben meinen entsetzlichen Verdacht bestätigt.
    Philipp barg für einen Moment sein Gesicht in den Händen, dann hob er langsam den Kopf, als wäre er unsäglich müde. »Aber das war längst noch nicht alles.«
    Ich bedeutete ihm mit einem Nicken, dass er fortfahren solle.
    »Ich rannte durch den Wald, zurück zur Hütte, weil ich nicht wusste, wohin ich sonst hätte fliehen sollen. Das Gelände war steil und teilweise kaum passierbar. Ich hatte keinen Bock, von dem Russen an einen Ort getrieben zu werden, wo auf allen Seiten die Felswände steil abfielen oder sich erhoben und er mich

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