Fangschuss
seelenruhig hätte abknallen können. Also schien mir die Hütte das sinnvollste Ziel. Mit etwas Glück war der Rest der Truppe gerade im Wald und machte Jagd auf die beiden übrig gebliebenen Jungs. Irgendwie fand ich den Weg zurück und konnte das Steingebäude schon durch die Baumstämme hindurch erkennen, als es ganz in meiner Nähe raschelte. Ich hörte ein Keuchen, dann schlugen Äste zur Seite und Ardim stürzte panisch auf mich zu. Seine Augen waren in blankem Entsetzen aufgerissen, sein Atem ging pfeifend, er hetzte an mir vorbei, als hätte er mich nicht gesehen, genau in die Richtung des Russen, der nicht weit hinter mir sein musste. Ardims rechter Arm hing herunter, Blut tropfte über seine schlaffe Hand, er rannte irgendwie merkwürdig, torkelte fast.
›Ardim!‹, schrie ich, um ihn zu warnen, doch er reagierte nicht. Ein schlurfendes Geräusch auf dem Waldboden ließ mich herumfahren. Der dicke Chinese wackelte mit weit aufgerissenem Mund den Hang herauf. Sein Gesicht war übersät mit roten Flecken, als hätte er Masern, Schweißbäche liefen über seine Stirn, sein Haar stand struppig vom Kopf ab. Ich verdrückte mich gerade noch rechtzeitig hinter den nächstbesten Baumstamm. Er hatte mich offensichtlich nicht bemerkt, hielt das Gewehr wie eine Puppe im Arm und stapfte an mir vorbei. Ich sah ihm hinterher. Er würde Ardim kaltblütig erschießen, wenn er ihn vor die Flinte bekäme, verdammt, Mann, ich wusste es, ich hatte miterlebt, was der Russe mit Edi angestellt hatte. Blinde Wut stieg in mir hoch. Mit ein paar Sprüngen hatte ich den Chinesen eingeholt und stieß ihn mit voller Wucht in den Rücken. Er schrie, bevor er zu Boden stürzte. Ich trat ein paar Mal auf ihn ein, in den Bauch, vor die Brust, ich war wie von Sinnen, Mann, ich spürte nichts mehr.« Philipps Lippen zitterten, mechanisch schob er das Glas von der einen Hand in die andere.
»Er quiekte wie ein Schwein beim Schlachter und versuchte, das Gewehr richtig herum in die Hände zu kriegen. Ich kickte es weg, es rutschte mit einem scharfen Zischen über den blätterbedeckten Boden und stürzte über den Rand des Abgrunds am unteren Ende der Halde. Die Waffe knallte ein paarmal gegen die Felswand, bevor sie im Tobel aufprallte. Der Chinese glotzte mich ängstlich aus seinen Schweinsäuglein an. Ich gab ihm einen Stoß, er rutschte ein paar Meter Richtung Abgrund und richtete sich dann überraschend auf. Er war jetzt auf den Knien und hatte ein riesiges Buschmesser gezückt, mit dem er wild herumfuchtelte. Ich umkreiste ihn und versuchte, ihm das Messer aus der Hand zu schlagen, aber er war zu schnell. Sein Blick schweifte kurz ab, er grinste plötzlich schmierig, und dann schoss eine Kugel haarscharf an meinem Kopf vorbei. Ich warf mich zu Boden und brachte mich hinter dem Chinesen in Deckung. Der Russe stand am oberen Rand der Böschung, er schrie etwas, das ich nicht verstand, und der Chinese robbte so flink, wie er konnte, zur Seite und ich tat natürlich dasselbe, ein Schuss pfiff durch die Luft, Blätter wirbelten auf, der Russe schrie wieder etwas. Der Chinese wandte sich plötzlich zu mir um und das Messer sauste haarscharf an meiner Nase vorbei. Blitzschnell packte ich seinen Arm und drehte ihn um. Er fing an zu plärren, dabei fiel ihm die Waffe aus der Hand. Rasch griff ich danach, packte ihn an den Beinen und zerrte sie mit einem Ruck zu mir hin, sodass er hintenüberfiel. Dann riss ich ihn hangabwärts. Der Russe schoss ein weiteres Mal, verfehlte uns aber. Danach schien sein Magazin leer zu sein, als ich kurz aufblickte, machte er sich an seinem Gewehr zu schaffen. Ich ließ den Chinesen los, warf mich zur Seite, worauf dieser immer schneller werdend auf die Stelle zurutschte, wo der Waldboden einfach aufhörte. Seine Finger gruben sich verzweifelt in die Erde und ich sah die Todesangst in seinen Augen, Mann, ich sah sie voll deutlich, doch merkwürdigerweise ließ mich das kalt. Irgendwie kriegte er eine lose Wurzel zu fassen, doch es war zu spät. Er quiekte ein letztes Mal, dann verschwand er so plötzlich, als hätte ihn der Wald verschluckt. Einen kurzen Moment lang herrschte Stille, dann hörte ich ihn jämmerlich aufjaulen. Ich richtete mich auf und bemerkte, dass die Wurzel bis zum Äußersten angespannt war, straff wie eine Wäscheleine verlief sie bis zum Baumstrunk. Offensichtlich hing er immer noch dran. Ich rannte los, durch den Wald, und hielt erst an, als ich sicher war, dass mir der Russe nicht gefolgt
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