Fangschuss
der Motor heulte auf und die Räder rotierten wie von Sinnen. Schlamm spritzte, dann fanden sie plötzlich doch Halt und der Wagen machte einen gewaltigen Satz nach vorn.
»Okay, das war der erste Teil.« Ich deutete den Abhang hinauf, wo die beiden Bestien aufmerksam witternd stehen geblieben waren. Wenn wir auf den Weg zurückwollten, mussten wir an ihnen vorbei. Ich stöhnte unmutig und dachte kurz daran, wie es wäre, einen ganz normalen Bürojob zu haben. Vier Wochen Ferien, dreizehnter Monatslohn, lauwarmer Kaffee aus dem Automaten und das einzig Aufregende am Tagesverlauf wäre die Frage, was es in der Kantine zum Mittagessen gab. Da ging ich lieber vor die Hunde.
Ich zog die Handbremse an und drückte aufs Gas. Als ich die Bremse löste, schoss der Wagen ungestüm den Hang hinauf, er schaffte etwa drei Viertel der Strecke, dann begann er zu ächzen und zu stottern. Ich blieb gnadenlos auf dem Pedal, widerwillig krochen wir die letzten paar Meter hinauf, bis wir wieder festen Grund unter den Rädern hatten.
»Respekt, Mann!«
Die Hunde erwarteten uns schon. Unverzüglich sprangen sie auf die Kühlerhaube, konnten sich aber dort nicht festhalten, da sie voller Schlamm war. Wie zwei Eisläufer, die zum ersten Mal auf dem Eis stehen, schlitterten sie darauf herum, bevor einer nach dem andern abrutschte. Ich riss das Steuer herum, der eine Rottweiler prallte unsanft gegen den Kühler und blieb verblüfft liegen, bevor er sich wieder aufraffte und uns mit seinem Partner von der Seite attackierte. Ich bog in den schmalen Pfad ein und beschleunigte. Einen Moment lang bleiben sie auf gleicher Höhe und sprangen immer wieder schnappend gegen die Seitentüren und Fenster, doch dann fielen sie allmählich zurück, bis sie schließlich hechelnd stehen blieben. Ich wandte mich kurz um und glaubte, die Enttäuschung in ihren Hundefratzen erkennen zu können. Dass ihnen jemand entkam, waren sie wohl nicht gewohnt. Ich atmete auf und wischte mir den Schweiß vom Gesicht. Im Rückspiegel entdeckte ich Seeholzer, er stand jetzt neben der Tanne, unter der mein Versteck gewesen war, und ballte wütend die Faust. Dann legte er das Gewehr an, doch er schoss nicht. Wahrscheinlich waren wir schon zu weit entfernt. Stattdessen ließ er die Waffe sinken und hielt sich ein vorsintflutlich aussehendes Funkgerät ans Ohr. Stadelmann tauchte neben ihm auf, er wirkte erschöpft. Seine Arme hingen leblos an ihm herunter, das umgehängte Gewehr sah aus der Ferne wie ein etwas zu lang geratener Pausenbrotsack aus. Ich warf Philipp einen Blick zu. Er bearbeitete gerade mit den Schneidezähnen seine Unterlippe.
»Weißt du …?«
Er machte eine unwirsche Handbewegung. »Nicht jetzt.«
Schweigend fuhren wir durch ein Waldstück, dann folgte eine Art Lichtung, auf der die Berghütte stand, die mir schon am Tag zuvor aufgefallen war.
»Fahr schneller.«
»Wieso?«
Philipp deutete stumm hinaus. Die Tür der Hütte schwang auf und ein bärtiger, grimmig dreinblickender Mann stürmte heraus. Seeholzer musste ihn alarmiert haben. Ich drückte aufs Gas. Auch er war mit einem Jagdgewehr bewaffnet. Wir waren bereits an ihm vorbei, als er, mitten auf dem Pfad stehend, anlegte. Instinktiv duckten wir uns, dann barst die Heckscheibe mit einem dumpfen Klirren, und für den Bruchteil einer Sekunde verlor ich die Kontrolle über den Wagen. Er schlingerte bedenklich nah dem Abgrund entlang. Philipp schrie auf, dann hatte ich das Lenkrad wieder fest im Griff. Das Sträßchen machte eine leichte Biegung, und als ich in den Rückspiegel sah, waren Hütte und Mann verschwunden.
»Was war das?«
»Eine Art Wächter.«
»Wächter?«
»Es gibt mehrere davon. Auf dem ganzen Gebiet. Weshalb glaubst du, bin ich die ganze Zeit dort oben geblieben und nicht abgehauen? Wegen der gesunden Alpenluft?«
»Seeholzer hat Wächter angestellt, damit du nicht fliehen kannst?«
»Yep. An allen strategisch wichtigen Punkten passt mindestens einer auf. Alles Exknastbrüder, die Winkler aus seiner Zeit im Gefängnis kannte. Dazu kam der verdammte Regen, der das Gelände weitgehend unpassierbar machte. Ich saß in der Falle wie eine verdammte Maus.«
Ich kaute nachdenklich an meiner Unterlippe. »Ich glaube, es gibt da ein, zwei Fragen, die du mir beantworten musst.«
»Dito.«
»Aber erst mal Grüße von Ness. Wegen ihr bin ich hier.«
Philipp warf mir einen erstaunten Blick zu. »Ness?«, sagte er dann wie zu sich selbst, und seine Gesichtszüge wurden mit einem Mal
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