Fanny Hill
John Cleland
Fanny Hill
Mit Genehmigung von Gunter Pirntke.
Coverillustration nach einem Gemälde von Harald Reiter. Die Verwendung des Gemäldes
Les Demoiselles de Gröbenzell
als Illustration für unser Cover genehmigte uns freundlich Harald Reiter, Maler und Bildhauer in Gröbenzell bei München.
© 2008 Harald Reiter, Gröbenzell
http://www.reiter-kunstweb.de/
Erster Brief
MADAME, ich nehme Ihren Wunsch als einen Befehl: so wenig angenehm es mir auch sein wird, will ich also die Geschichte jener meiner Lebenszeit aufschreiben, die nun vorbei ist, nun, wo ich glücklich bin in Liebe und Gesundheit und Jugend. Bequeme Verhältnisse und nicht geringes Vermögen lassen mir Zeit, die ich nicht besser verwenden kann, als dass ich einen schon von der Natur nicht ganz schlechten Verstand übe, der mich auch inmitten der ausgelassensten Lüste und Freuden mehr Erfahrungen über Brauch und Sitte der Welt machen ließ, als es bei Huren allgemein ist; denn die halten jeden Gedanken für einen schlimmen Feind ihrer Betäubung, so dass sie ihn entweder weit sich fern halten oder in Stumpfsinn vernichten.
Ich mag lange Vorreden nicht und will mich auch weder verteidigen noch entschuldigen, will nur sagen, dass ich mein Leben genau so beschreiben werde, wie ich’s geführt habe.
Ich will die Wahrheit geben und mir nicht die Mühe nehmen, ihr eine verschleiernde Hülle zu geben. Ich will Umstände und Situationen so beschreiben, wie sie waren, und mich nicht darum kümmern, ob ich damit jene Gesetze des Anstandes verletze, die ja auch für die Art unserer beider Beziehungen und Beichten nicht gemacht wurden. Dann haben Sie ja auch eine viel zu gute Kenntnis der Wirklichkeit, als dass Sie über deren Beschreibung aus Prüderie oder aus »Charakter« die Nase rümpften. Die geschmackvollsten Leute werden in ihren Privaträumen Bildnisse des Nackten an die Wand zu hängen sich nicht scheuen — wenn sie es nicht im Treppenhaus tun, so nur, weil sie mit einem allgemeinen Vorurteil rechnen.
Das sei Einleitung genug. Ich komme zu meiner Geschichte. Mein Mädchenname war Frances Hill und ich bin von sehr armen, aber, wie ich aufrichtig glaube, grundehrlichen Eltern in einem Dorf nahe bei Liverpool in Lancashire geboren.
Mein Vater war gelähmt und fand im Netzmachen einen kümmerlichen Verdienst; meine Mutter trug das ihre mit einer Kleinmädchenschule bei, die sie hielt. Wir waren viele Kinder, von denen keines lang lebte, bis auf mich, der mir die Natur eine vortreffliche Gesundheit gab.
Bis über mein vierzehntes Jahr bestand meine Erziehung in ein bisschen Lesen oder vielmehr Buchstabieren, einem unleserlichen Gekritzel und ein wenig Nähen. Das einzige Fundament meiner Tugend war die völlige Unkenntnis des Lasters und jene scheue Furcht, die uns ganz jungen Mädchen eigen ist, da uns etwas mehr durch seine Neuheit als durch sonst was ängstigt. Von dieser Furcht werden wir meist auf Kosten unserer Unschuld befreit, wenn wir allmählich anfangen, in den Männern nicht mehr die Raubtiere zu sehen, die uns fressen wollen.
Zwischen ihrer Schule und den Hausarbeiten hatte meine Mutter wenig Zeit für mich; und da ihre eigene Naivität nichts Böses kannte, kam ihr auch gar nicht der Gedanke, mich vor was zu warnen.
Ich war fünfzehn Jahre alt, als mir ein großes Unglück widerfuhr: meine Eltern starben rasch hintereinander an den Pocken und ließen mich als Waise zurück. Die schlimme Krankheit hatte auch mich überfallen, aber in einer so gelinden Form, dass ich bald außer Gefahr war und ohne Narben davon kam, was ich damals allerdings noch nicht zu schätzen wusste. Ein wenig Zeit und die Unbekümmertheit meines Alters zerstreuten nur zu bald meinen Schmerz, und etwas machte mich endlich ganz gleichgültig gegen ihn: der Gedanke, nach London in Dienst zu gehen, worin mich eine junge Frauensperson, Esther Davis, bestärkte und versprach, mir da mit Rat und Tat beizustehen. Diese Davis war aus London auf Besuch zu Bekannten gekommen und wollte nach ein paar Tagen wieder in ihre Stellung zurück.
Ich hatte niemanden im Dorfe, der sich meiner hätte annehmen, oder mir da etwas hätte raten können. Die Frau, die sich nach meiner Eltern Tode um mich kümmerte, sprach mir zu, und so stand mein Entschluss fest, nach London zu gehen, um da mein Glück zu suchen, wie die Redensart heißt, die schon mehr verdorben als glücklich gemacht hat.
Esther Davis erzählte mir von dem Prachtvollen, was es alles in London gäbe, den
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