Fantasien der Nacht
Kontakt zu treten, sofern jene Person ihm nicht zunächst ihrerseits eine Nachricht zukommen ließ – so, wie sie es getan hatte.
Langsam gewann er die Oberhand über das Sperrfeuer der Eindrücke. Er durchforstete sie und suchte nach ihrer Stimme und ihren Gedanken. Innerhalb von Momenten spürte er sie und wandte sich in die Richtung desjenigen Ortes, von dem er wusste, dass sie dort war.
Eric verschluckte sich fast, als er sich der Eislaufbahn näherte und sie erblickte. Sie drehte sich im Mondschein in der Mitte der Bahn, ihr Gesicht wie im Gebet nach oben gerichtet – als würde sie die Nacht anbeten. Sie stoppte, breitete mit der Grazie einer Ballerina die Arme aus und glitt erst langsam, dann immer schneller übers Eis, um Achten zu ziehen. Dann drehte sie sich, glitt rückwärts übers Eis, drehte sich von Neuem, kreuzte einen Schritt über den anderen und wurde schließlich langsamer.
Als er sie beobachtete, spürte er ein eigenartiges Brennen in seiner Kehle. Zwanzig Jahre waren vergangen, seit er das unschuldige schwarzhaarige Kind in dem Krankenhausbett zurückgelassen hatte, nachdem er ihr das Leben rettete. Wie lebhaft er sich noch an jene Nacht erinnerte – an die Art, wie sie ihre Augen geöffnet und seine Hand gehalten hatte. Sie hatte ihn bei seinem Namen genannt und ihn gebeten, nicht zu gehen. Sie hatte ihn bei seinem Namen genannt, obwohl sie ihm noch nie zuvor begegnet war! Genau in diesem Moment hatte er erkannt, wie stark das Band zwischen ihnen war, und beschlossen, dass es besser war zu verschwinden.
Erinnerte sie sich daran? Würde sie ihn erkennen, wenn sie ihn wiedersah? Er hatte natürlich nicht vor, das zuzulassen. Er wollte sie nur anschauen, ihre Gedanken durchforsten und dahinterkommen, was der wahre Grund für ihre nächtlichen Qualen war.
Sie glitt zu einer Bank in der Nähe der Eisbahn, zog die Ohrenschützer ab und ließ sie fallen. Als sie den Kopf schüttelte, flog ihr Haar wild umher, wie ein schwarzer Satinlocken-Mantel. Sie streifte ihre Jacke ab und ließ sie in den Schnee gleiten. Mit einem tiefen Atemzug wandte sie sich um und fuhr wieder los.
Eric öffnete seinen Geist, nahm Verbindung mit dem ihren auf und stellte sich mit allen Sinnen auf sie ein. Es dauerte nur Sekunden, und erneut staunte er über die Stärke der geistigen Verbindung zwischen ihnen. Er hörte ihre Gedanken so deutlich wie sie selbst.
Was er hörte, war Musik – die Musik, die sie sich ausmalte, während sie auf dem Eis ihre Kreise zog. Die Musik verblasste ein wenig, als sie mit sich selbst sprach. Einen Axel, Tam, altes Mädchen. Etwas mehr Tempo … jetzt!
Er hielt die Luft an, als sie vom Eis hochsprang, um sich anderthalbmal zu drehen. Sie landete fast perfekt, mit einem Bein hinter sich ausgestreckt, dann geriet sie ins Schwanken und stürzte hart. Eric musste an sich halten, um nicht zu ihr zu laufen. Ein beinahe überhörter Instinkt flüsterte ihm eine Warnung zu, und er hielt inne. Erst jetzt begriff er, dass sie lachte, ein Geräusch klar wie Kristallwasser, das über Steine plätscherte.
Sie erhob sich, rieb sich den Rücken und lief wieder los; sein Blick folgte ihr. Sie fuhr zum anderen Ende der Eisbahn. Das war der Moment, in dem Eric den Lieferwagen entdeckte, der in der Dunkelheit auf der anderen Straßenseite parkte. Daniel St. Claire!
Schnell besann sich Eric eines Besseren. Es konnte nicht St. Claire sein. Er hätte die Ankunft des Mannes gehört, da er nach ihm gekommen sein müsste. Er besah sich den weißen Lieferwagen genauer und erkannte gewisse Unterschiede – der Kratzer an der Seite, die Reifen. Das war nicht St. Claires Fahrzeug, aber es gehörte dem DPI. Jemand hatte ein Auge auf Tamara – und nicht auf ihn!
Er wäre gern näher herangegangen, um das Dunkel des Innenraums mit seinen Blicken zu durchdringen und den Beobachter zu identifizieren, aber sein Fuß verhakte sich irgendwo, und er schaute nach unten. Eine Sporttasche. Ihre Sporttasche. Er sah wieder zu Tamara. Sie konzentrierte sich vollkommen aufs Eislaufen. Wie es schien, war derjenige, der sie beobachtete, nicht minder von ihr fasziniert.
Eric bückte sich, hob die Tasche auf und verschmolz mit den Schatten. Außer ihren Stiefeln befand sich nur eine kleine Handtasche in der Sporttasche. Seine Hände glitten über geschmeidiges Ziegenleder. Er holte die Handtasche heraus.
Ja, es war ein Einbruch in ihre Privatsphäre, das war ihm bewusst. Falls die gleichen Leute, die ihn beschatteten, auch
Weitere Kostenlose Bücher