Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
seinen früheren Lebzeiten betätigte er sich auch als Schriftsteller und verfaßte Romane über Reisen zum Mond und zur Sonne. Und jetzt befindet er sich im Inneren einer Flugmaschine, die nicht einmal annähernd denen gleicht, von denen er früher geträumt hat. Daß er selbst einst an einer solchen Reise teilnehmen würde, wäre ihm natürlich auch nie in den Sinn gekommen. Der Flug zum Nordpol eines fremden Planeten ist bisher von niemandem, nicht mal von der ausgeflipptesten Seele auf der Erde je beschrieben worden. Und jetzt sitzt er in diesem herrlichen Wunderwerk, das kein Mensch jemals übertreffen wird, entschwebt in die himmelblauen Weiten und sucht nach einem sagenumwobenen Turm, in einem kalten, nebelverhangenen See. Ein Ritter der Lüfte, ein nachterrestrischer Galahad auf der Suche nach einem Riesengral!
Cyrano steuert ganz alleine. Das Schiff ist vollautomatisch, seine Motoren, Höhen- und Seitenruder sind elektronisch direkt mit den Kontrollen auf der Brücke verbunden. Damit entfällt eine ganze Menge Bedienungspersonal, das man auf den Luftschiffen alter Bauart für die Bedienung der Höhen- und Seitenruder und die Nachrichtenübermittlung an das Maschinenpersonal benötigte. Wenn es einen Menschen gäbe, der es schaffte, dreieinhalb Tage lang ununterbrochen wach zu bleiben, könnte er ein Schiff wie die Parseval ganz allein zum Nordpol steuern. Theoretisch wäre es natürlich auch möglich, das Schiff die ganze Strecke zurücklegen zu lassen, ohne daß sich auch nur eine einzige Seele an Bord befindet.
Und dort, zu Cyranos Rechten, sitzt der Kapitän, unser einmaliger Milton Firebrass. Er winkt gerade dem Manne zu, der jetzt seinen Job als Präsident von Parolando übernommen hat: Judah P. Benjamin aus Louisiana, dem ehemaligen Generalstaatsanwalt der nicht mehr existenten, aber auch nicht unbedingt erwähnenswerten konföderierten Staaten von Amerika.
Was? Nimm die Finger von mir, mein Junge! Damit meine ich doch nicht die ehemaligen Bürger der USA. Nehmt mir den Süffel vom Hals, Leute!
Und dort – auf der extremen Linken – sehen wir den Piloten im Range des Dritten Offiziers Mitja Nikitin. Er hat versprochen, während der gesamten Reise nüchtern zu bleiben und keine Schnapsflaschen zwischen den Gasbehältern zu verstecken, haha!
Rechts von Nikitin seht ihr die Erste Offizierin Jill Gulbirra. Obwohl Sie einigen von uns ziemlich zugesetzt haben, Miz Gulbirra, verehren wir doch…
Ah, da ertönen wieder die Trompeten! Welch ein Klang! Und jetzt winkt Kapitän Firebrass uns zu. Auf Wiedersehen, mon capitaine, bon voyage! Halten Sie uns per Funk auf dem laufenden.
Und schon werden die Taue am Heck der Parseval gelöst. Das Schiff tanzt ein wenig, aber keine Sorge, sein Gleichgewicht kriegt es gleich wieder. Vor ein paar Stunden habe ich mir angesehen, wie es ausbalanciert wurde. Es liegt jetzt so perfekt in der Luft, daß ein einzelner Mann es mit einer Hand hochheben könnte.
Jetzt wird die Nase der Parseval von dem beweglichen Ankermast befreit. Und schon läßt man ein bißchen von dem Wasserballast fallen. Tut mir leid, Leute, aber wir haben euch ja gesagt, ihr solltet nicht so nahe an die Kiste rangehen – zumindest die, die eine Dusche nicht vertragen können.
Jetzt hebt sie sich ein wenig. Der Wind trägt sie rückwärts, nach Süden, aber die Motoren sind bereits gedreht worden. Sie werden sie nach Norden bringen.
Sie startet! Größer als ein Gebirge und leichter als eine Feder! Auf zum Nordpol und dem Dunklen Turm!
Mein Gott, mir kommen die Tränen! Ich muß zuviel von diesem tränentreibenden Urwaldgesöff abgekriegt haben! Aber, Leute, ist das nicht ein erhebender Anblick?!«
44
Hochdroben über der Welt leuchtete das Luftschiff wie eine Nadel im Blau des Himmels.
In einer Höhe von 6000 Metern hatte die Besatzung der Parseval eine ausgezeichnete Aussicht über die Flußwelt. Jill, die hinter der Frontscheibe stand, sah das in Nord-Süd-Richtung verlaufende Tal. Zwanzig Kilometer vor ihnen wandte es sich in einem weiten Bogen nach Osten, um sich dann in die Ferne zu winden wie ein malaiischer Dolch mit wellenförmiger Klinge.
Hin und wieder warf der Fluß die Sonnenstrahlen zurück. Aus dieser Höhe waren die Millionen und Abermillionen Menschen, die an seinen Ufern lebten, unsichtbar, und selbst die größten Schiffe schienen den Beobachtern nicht größer zu sein als aufgetauchte Drachenfische. Die Welt sah von hier oben so aus wie am Tage der Wiedererweckung.
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