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Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03

Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03

Titel: Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das dunkle Muster
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einzelne Gesichter zu unterscheiden. Ihre sozialen Kontakte hatten sich auf die Nacht und eine Handvoll Leute beschränkt. Was ihr mentalen Schmerz zugefügt hatte (oder hätte, vorausgesetzt, sie gestattete sich eine solche Emotion), war der Gedanke gewesen, an jemandem vorbeizupaddeln, den sie auf der Erde geliebt oder zumindest gemocht hatte. Es gab mehrere Leute, die sie sich wiederzusehen sehnte.
    Und diejenige, nach der es sie möglicherweise am meisten verlangte, war Marie. Was mochte sie gefühlt haben, als ihr klar wurde, daß ihre grundlose Eifersucht schuld am Tode ihrer geliebten Jill gewesen war? Hatte der Kummer sie zerfressen? Hatte sie sich angesichts dieser Erkenntnis das Leben genommen? Marie war stets selbstmordgefährdet gewesen, oder – um genau zu sein – hatte dazu geneigt, sich dermaßen mit Pillen vollzustopfen, daß es zumindest den Eindruck erweckte. Gleichzeitig war sie sehr geschickt gewesen und hatte stets darauf geachtet, daß noch genügend Zeit übrig war, um ärztliche Hilfe herbeizurufen. Jill selbst war mindestens dreimal Zeugin eines solchen Versuchs geworden.
    Nein, Marie würde höchstens in eine dreitägige finstere Stimmung verfallen und sich selbst bemitleiden. Anschließend würde sie etwa zwanzig Schlaftabletten schlucken und ihre nächste Freundin – möglicherweise eine andere Geliebte, dachte Jill mit einem dumpfen Schmerz in der Brust – anrufen, damit diese sie in einen Wagen verfrachtete und zum nächsten Hospital fuhr, wo man ihr den Magen auspumpen würde und mit einem Gegenmittel versorgte, während die andere aufgeregt im Korridor wartete und schließlich an ihr Bett trat, wo Marie sich noch halb besinnungslos und leidend (allerdings wach genug, um die Anwesenheit ihrer Geliebten zu bemerken) hin und her wälzte. Und dann würde sie, angeblich umnebelt von der Wirkung der Droge, einiges sagen, das auf die Gefühle ihrer Freundin einwirkte und ihr Mitleid erregte. Natürlich würde die sadistische kleine Schlampe auch einige verletzende Bemerkungen von sich geben, von denen sie später behauptete, sich nicht daran zu erinnern.
    Dann würde Marie von ihrer Geliebten aus dem Hospital abgeholt und in deren Apartment mitgenommen werden. Die Freundin würde sich eine Weile zärtlich um sie kümmern und dann… Es war Jill beinahe unmöglich, die Sache nicht weiter auszuspinnen.
    Sie konnte nicht anders, als grimmig über sich selbst zu lachen, wenn sie soweit gekommen war. Es war jetzt einunddreißig Jahre her, daß sie aus dem Haus gestürmt war, sich in den Wagen geschwungen hatte und mit kreischenden Pneus drei Stopplichter überfahren hatte, bis… bis die blendenden Lichter und die jaulende Hupe des gewaltigen Lastwagens sich ihrem Mercedes zugewandt hatten und…
    Sie war mit zahllosen anderen zu einem neuen Leben erwacht, nackt, und ihr ehemals dreißig Jahre alter Körper besaß nun wieder die Formen einer Fünfundzwanzigjährigen. Und ein Alptraum von einem Paradies. Vielleicht hätte man ein Paradies daraus machen können, hätten sich nicht so viele andere Leute bemüht, hier eine Hölle zu etablieren.
    Es war einunddreißig Jahre her. Und die Zeit hatte es trotzdem nicht geschafft, alle Wunden zu heilen. Zumindest diese nicht. Eigentlich hätte sie längst darüber hinweg sein sollen. Wieso verblaßten die Erinnerungen an Marie nicht unter dem Eindruck der jetzigen Probleme? Normalerweise hätte sie sie längst vergessen müssen. Aber das konnte sie nicht.
    Sie stellte plötzlich fest, daß der Japaner sie ansah. Offensichtlich harrte er immer noch einer Antwort auf seine Frage, die er ihr gestellt hatte.
    »Verzeihen Sie«, sagte Jill. »Manchmal verliere ich mich einfach im Irrgarten der Vergangenheit.«
    »Das tut mir leid«, erwiderte Piscator. »Manchmal… wenn man Traumgummi nimmt, um ihr zu entgehen, oder wenn man verhindern will, daß die Erinnerungen einem geistigen Schaden zufügen, verliert man sich statt dessen.«
    »Nein«, sagte Jill und versuchte den Ärger in ihrer Stimme zu verbergen. »Es liegt daran, daß ich einfach zu lange allein war… da verfällt man in Träumereien. Es ist, wie… wie… wenn ich in einem Kanu säße und mich treiben ließe, geschähe das ganz automatisch. Es ist mir so oft passiert, daß ich plötzlich herausfand, zehn Kilometer hinter mich gebracht zu haben, ohne die geringste Erinnerung daran zu besitzen. – Aber jetzt bin ich hier, und die Arbeit, die auf mich wartet, verlangt nach einer ständigen

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