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Farmer, Philip José - Flusswelt 04

Farmer, Philip José - Flusswelt 04

Titel: Farmer, Philip José - Flusswelt 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das magische Labyrinth
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beinahe. Er hatte seinen größten Feind, den einzigen Menschen, den er je wirklich gehaßt hatte, in der Hand! Und noch dazu unter diesen unglaublichen Umständen! Wenn John wieder zu sich kam, würde er noch mehr erstaunt sein als er. Die Wahrheit war tatsächlich noch phantastischer als die Vorstellung, und das war beileibe nicht alles, was es dazu zu sagen gab.
    Während Sam in der einen Hand die Pistole hielt, schaltete er mit der anderen das Licht an. Die Deckenleuchten produzierten ein müdes Flackern. John stöhnte, seine Augenlider zuckten. Sam versetzte ihm einen – diesmal leichteren – Klaps auf den Kopf. Er hatte keine Lust, ihn umzubringen oder sein Gehirn über Gebühr zu beschädigen. John sollte hundertprozentig auf dem Damm sein, sonst würde ihm überhaupt nicht klar werden, was ihm zugestoßen war.
    Sam öffnete die Schubladen einer an der Kabinenwand befestigten Kommode und entnahm ihnen einige der dünnen, halbdurchsichtigen Tücher, die die Frauen als Büstenhalter verwendeten. Damit fesselte er Johns Beine und band ihm die Arme auf dem Rücken zusammen. Keuchend und schnaufend zog er den Bewußtlosen auf einen im Boden verankerten Stuhl zu. Nachdem es ihm gelungen war, John auf die Sitzfläche zu bugsieren, vertäute er dessen Hände an der Rückenlehne. Dann begab er sich in die Kochnische, trank zwei Gläser Wasser und füllte ein drittes. Er war kaum fertig damit, als der Wasserhahn anfing zu quietschen und aus dem Strom ein Tröpfeln wurde. Die Wasserpumpe hatte den Betrieb eingestellt.
    Sam kehrte in die Hauptkabine zurück und schüttete das Wasser in Johns Gesicht. John schnappte nach Luft und öffnete die Augen. Eine ganze Zeit lang schien er gar nicht zu begreifen, wo er war. Dann, als er Samuel Clemens erkannte, öffneten sich seine Augen ganz. Als er Luft holte, pfiffen seine Lungen dermaßen, als hätte ihm jemand einen Schlag in den Magen versetzt. Dort, wo seine Haut vom Pulverstaub noch nicht bedeckt war, verfärbte sie sich graublau.
    »Ja, John, ich bin’s.« Sam grinste breit. »Du kannst es nicht glauben, stimmt’s? Aber du wirst dich bald an den Gedanken gewöhnen. Auch wenn er dir nicht gefallen wird.«
    »Wasser«, krächzte John.
    Sam schaute in Johns rotgeäderte Augen. Obwohl er ihm nichts als Haß entgegenbrachte, tat er ihm leid. Damit war natürlich keine Sympathie verbunden. Immerhin ließ er ja auch einen tollwütigen Hund nicht leiden, oder?
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist kein Wasser mehr da.«
    »Ich sterbe vor Durst«, sagte John heiser.
    »Mehr fällt dir, nach allem, was du mir angetan hast, nicht ein?« fauchte Sam. »Nach all diesen Jahren?«
    »Gib mir was zu trinken«, sagte John. »Dann reden wir weiter.«
    Seine Haut hatte wieder ihre normale Farbe angenommen. Er wich Sams Blick nicht einmal aus. Da Sam ihn kannte, wußte er genau, nach welcher Strategie John vorzugehen plante. Er würde vernünftig mit seinem Bezwinger reden, gelassen bleiben, der Logik die Ehre geben, an seine Menschlichkeit appellieren und – letztendlich – seiner wohlverdienten Strafe entgehen.
    Und das Schlimme daran war, durchzuckte es Sam, daß er damit Erfolg haben würde. Schon jetzt ebbte seine Wut ab. Die Rachephantasien, die er im Laufe von dreiunddreißig Jahren in sich angesammelt hatte, zerstoben wie ein Furz im Wind.
    Was übrigblieb, war ein Mann, der zwar vorgab, ein fanatischer Atheist zu sein, im Grunde seines Herzens jedoch die Ideale des Christentums vertrat, um eine Phrase zu benutzen, die einst einer seiner irdischen Gegner über ihn verbreitet hatte.
    Er hätte John im gleichen Moment erschießen sollen, in dem er das Licht angemacht hatte. Er hätte wissen müssen, was passierte, wenn er das nicht tat. Aber er konnte nun einmal keinen Menschen umbringen, der nicht bei Bewußtsein war. Nicht einmal König John, nach dessen Blut er jahrzehntelang gedürstet und den er in seinen täglichen Träumen fortgesetzten und schrecklichen Folterungen unterworfen hatte. Des Nachts sah die Sache allerdings anders aus. Dann bestanden seine Träume daraus, daß John einem gelähmten oder sonst wie rettungslos in die Enge getriebenen Sam Clemens die abscheulichsten Dinge antat. Wenn nicht gerade Erik Blutaxt wutschnaubend hinter ihm her war.
    Sam zog eine Grimasse und kehrte in die Kochnische zurück. Wie er vermutet hatte, enthielt die Wasserleitung der Duschanlage noch genug Wasser, um mehrere Gläser zu füllen. Er trank noch einmal und füllte das Glas für John.

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