Farmer, Philip José - Flusswelt 04
Toten sah der Raum noch immer beeindruckend aus.
Burton trat ein und blickte sich um. Wenn Alice nicht hinter der langen Theke oder unter den zerbrochenen Pianos und Billardtischen lag, war sie nicht hier. Obwohl Burton keinen vernünftigen Grund hatte, noch länger hier zu verweilen, ließ er sich ein paar Sekunden lang vom Glanz der Umgebung gefangen nehmen. Wie sein Gegenstück auf der Rex war auch dieser Salon viele Jahre lang ein Raum gewesen, in dem man gelacht, gewitzelt, geflirtet, intrigiert und manchmal gespannt und manchmal verzweifelt gegeneinander gespielt hatte. Der Salon hatte Liebe und Haß kennen gelernt. Die alten Meister der Erde hatten hier komponiert und Musik gemacht, und auf seinen Bühnen hatte man gute und schlechte Dramen und Komödien aufgeführt. Und jetzt… Es war beschämend. Das, was man ihm angetan hatte, war bedauernswert.
Burton schickte sich an, den Raum zu durchqueren, und hielt plötzlich inne. Ein Mann kam durch die große Tür am anderen Ende des Saales. Als er Burton gewahrte, blieb er stehen. Dann kam er lächelnd und mit federnden Schritten näher. Er war ein paar Zentimeter kleiner als Burton und dünn wie ein Windhund, aber er hatte außergewöhnlich lange Arme. Pulverdampf hatte sein Gesicht fast schwarz gefärbt. Er hatte eine lange Nase und ein verweichlicht wirkendes Kinn. Sein Lächeln verlieh ihm allerdings eine gewisse Schönheit.
Das leuchtendschwarze Haar fiel dem Fremden in Löckchen bis auf die Schultern. Er trug einen schwarzen Kilt und rote Stulpenstiefel aus Flußdrachenleder, sonst nichts. Seine rechte Hand ruhte auf dem Griff eines Degens.
Burton hatte plötzlich den Eindruck, daß er diesem Mann schon einmal – und unter ähnlichen Umständen – begegnet war. Er hatte ihn ganz bestimmt schon einmal getroffen und hatte sogar gehofft, ihn einmal wiederzusehen. Während dieses Gedankens schien die längst verheilte Wunde an seiner Hüfte plötzlich wieder zu schmerzen.
Sieben oder acht Meter vor ihm blieb der Fremde stehen. Er sprach ein lautes Esperanto mit Spuren eines französischen Akzents und amerikanischer Intonation.
»Ah, Sie sind es, Sinjoro! Der hochtalentierte, möglicherweise gar genial begabte Fechter, mit dem ich vor vielen Jahren während des Überfalls auf die Rex die Klinge kreuzte! Ich habe mich Ihnen damals, wie es einem Gentleman geziemt, vorgestellt. Leider versäumten Sie es, mir die gleiche Ehre zu erweisen. Vielleicht sahen Sie deswegen davon ab, weil Sie glaubten, Ihr Name würde mir ohnehin nichts sagen. Aber jetzt…«
Burton machte einen Schritt auf ihn zu. Die Spitze seines Degens wies beinahe senkrecht nach unten. Im Pariser Französisch des siebzehnten Jahrhunderts erwiderte er: »Eh, Monsieur. Als Sie sich vorstellten, war ich nicht sicher, ob Sie wirklich derjenige waren, als den Sie sich ausgaben. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, einem Hochstapler gegenüberzustehen. Nun jedoch muß ich zugeben, daß Sie entweder der große Savinien de Cyrano II de Bergerac persönlich sind oder jemand, der ihm nicht nur wie ein Zwilling ähnelt, sondern als Fechter auch die gleichen Fähigkeiten aufweist.«
Burton zögerte. Warum sollte er sich nicht ebenfalls vorstellen? Es war nun nicht mehr länger nötig, sich eines Decknamens zu bedienen.
»Nehmen Sie also zur Kenntnis, Monsieur«, fuhr er fort, »daß ich Hauptmann Richard Francis Burton bin, der Anführer der Bordtruppen der Rex Grandissimus. Ich wurde auf der Erde von Ihrer Majestät, der Königin Viktoria, der Herrscherin über das britische Empire, zum Ritter geschlagen. Dies erfolgte jedoch nicht deswegen, weil ich irgendwelche kommerziellen Erfolge errang, sondern als Würdigung meiner Forschungsreisen durch entlegene Gebiete der Erde und aufgrund von Diensten, die ich nicht nur meinem Land, sondern der gesamten Menschheit erwies. Auch unter den Fechtern meiner Zeit – dem neunzehnten Jahrhundert – war ich nicht unbekannt.«
»Helas«, sagte de Bergerac. »Hat man Sie nicht auch wegen Ihrer Langatmigkeit geadelt?«
»Nein«, sagte Burton. »Ebenso wenig wie dafür, daß ich eine lange Nase gehabt hätte.«
De Bergerac lächelte. »Der Hinweis auf meinen Zinken darf natürlich nicht fehlen. Nun, Monsieur, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich – obwohl ich nicht in solcher Weise von meinem Souverän Louis XIII geehrt wurde – von einer Königin, die noch ein wenig höher steht als die Ihre, nämlich Mutter Natur höchstpersönlich, auserkoren bin,
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