Farmer, Philip José - Flusswelt 04
Ende verhielt er sich Hitler gegenüber loyal.
Das Urteil war vorherzusehen. Man verurteilte ihn zum Tod durch den Strang. Am Tag vor der Exekution, am 15. Oktober 1946, schluckte Hermann Göring eine in seiner Zelle versteckte Zyankalikapsel und starb. Er wurde verbrannt und seine Asche – einem Gerücht zufolge – auf einen Abfallhaufen in Dachau geworfen. Ein anderes, das aus seriöseren Quellen stammt, besagt, daß man sie außerhalb von München auf einer schlammigen Landstraße verstreute.
Damit hätte es enden sollen. Göring war glücklich darüber, sterben zu können. Es erleichterte ihn, den Krankheiten seines Körpers und seiner Seele endlich entfliehen zu können. Er wollte den Gedanken an sein Versagen und dem Stigma, ein Nazi-Kriegsverbrecher zu sein, entkommen. Alles, was er an seinem Tod bedauerte, war die Tatsache, daß er seine Emma und die kleine Edda ungeschützt zurücklassen mußte.
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Aber es war nicht das Ende. Ob es ihm nun gefiel oder nicht: Man hatte ihn auf diesem Planeten wiederauferstehen lassen. Wie oder warum, das wußte er nicht. Er hatte wieder einen jungen Körper, war wieder ein schlanker, junger Mann. Er war den Rheumatismus los, hatte keine geschwollenen Drüsen mehr und es verlangte ihn auch nicht mehr nach Aufputschmitteln.
Er entschloß sich, nach Emma und Edda Ausschau zu halten. Desgleichen wollte er Karin finden. Wie er damit fertigwerden wollte, mit beiden Frauen zusammenzuleben, war etwas, über das er sich keine Gedanken machte. Die Suche würde lang genug dauern, um sich darüber schlüssig zu werden.
Er fand sie nie.
Der alte Hermann Göring, der hochambitionierte und skrupellose Opportunist, schlummerte immer noch in ihm. Er tat vieles, was ihn später zutiefst beschämte und bedauerte, bevor er nach vielen Abenteuern und langer Wanderschaft zur Kirche der Zweiten Chance übertrat. Dies war plötzlich und spontan geschehen und ähnelte in vielem der Konversion des Saulus von Tarsus auf der Straße nach Damaskus. Es war in dem kleinen, unabhängigen Staat Tamoancan passiert, der hauptsächlich von nahuatl sprechenden Mexikanern des zehnten Jahrhunderts und dem zwanzigsten Jahrhundert entstammenden Navajos bewohnt wurde. Bis man ihm das Grundwissen der Lehre vermittelt hatte, lebte Hermann im Schlafraum der Novizen.
Schließlich zog er in eine Hütte, die kurz zuvor freigeworden war. Nicht viel später lebte er mit einer Frau namens Chopilotl zusammen. Auch sie war eine Chancistin, aber sie bestand darauf, in der Hütte einen Götzen aus Speckstein aufzustellen. Die abscheulich aussehende, etwa dreißig Zentimeter hohe Figur trug den Namen Xochiquetzal und war die göttliche Schutzheilige der geschlechtlichen Liebe und der Geburt. Die Verehrung, die Chopilotl der Göttin entgegenbrachte, wurde immer leidenschaftlicher. Sie verlangte, daß Hermann sie vor der Göttin, von Fackellicht flankiert, besteigen sollte. Hermann hatte zwar nichts dagegen, aber je öfter sie dieses Ansinnen an ihn stellte, desto mehr ermüdete sie ihn.
Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, daß es nicht rechtens sei, eine heidnische Gottheit zu verehren. Deswegen ging er zu seinem Bischof, einem Navajo, der auf der Erde Mormone gewesen war.
»Ja, ich weiß, daß sie diese Statue hat«, sagte Bischof Ch’agii. »Die Kirche billigt weder Götzendienst noch Vielgötterei, Hermann. Das weißt du. Sie erlaubt ihren Gliedern aber, Götzen zu behalten, wenn derjenige, der sie besitzt, sich voll und ganz darüber im klaren ist, daß sie nur symbolischen Charakter haben. Zugegebenermaßen bedeutet dies eine Gefahr, da der Gläubige ein solches Symbol nur allzu leicht für die Wirklichkeit hält. Und das gilt nicht etwa nur für die Primitiven, mußt du wissen. Selbst sogenannte zivilisierte Menschen tappen in diese psychologische Falle.
Chopilotl lebt sonst nach den Vorschriften und ist eine gute Frau. Wenn wir uns ihrer Schwäche gegenüber zu unnachsichtig zeigen und verlangen, daß sie den Götzen wegwerfen soll, erreichen wir damit möglicherweise nur, daß sie vorn Glauben abfällt und wieder der allgemeinen Vielgötterei huldigt. Was wir tun, kann man vielleicht als theologische Entwöhnung bezeichnen. Du hast doch gesehen, wie viele Götzen es hier noch gibt, nicht wahr? Die meisten davon hatten einmal Unmengen von Anbetern. Wir haben die Gläubigen Schritt für Schritt von ihnen entwöhnt, indem wir sie geduldig und sanft instruierten. Für die meisten ehemaligen Götzenanbeter
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