Farmer, Philip José - Flusswelt 04
sie, nur um von einer anderen Frau Söhne zu bekommen, zu verlassen. Obwohl dieses Mißgeschick ihn zutiefst enttäuschte, zeigte er es nicht. Er liebte Edda – und auch sie liebte ihn, bis ans Ende ihres Lebens.
Ein anderer Aspekt seines verwirrenden Charakters wurde offenkundig, als er aufgrund einer diplomatischen Mission Italien besuchte. Der König und der Kronprinz nahmen ihn mit auf eine Rotwildjagd. Während Hunderte von Hirschen unter ihnen vorbeigetrieben wurden, saßen die drei auf einem Hochstand. Der Adel richtete ein ungeheures Gemetzel an. Allein der König tötete einhundertdreizehn Hirsche. Göring war dermaßen entsetzt, daß er sich weigerte, auch nur einen Schuß abzufeuern.
Ebenso wenig war er dazu bereit, die Tschechoslowakei und Österreich zu annektieren. Besonders der Überfall auf Polen fand seine Mißbilligung. Der Gedanke an einen Krieg deprimierte ihn; er hatte ihm weder kurz vor dem Ersten noch vor dem Zweiten Weltkrieg etwas abgewinnen können. Dennoch stand er seinem geliebten Führer auch in dieser Angelegenheit zur Seite; ebenso, wie er schon gegen die Judenverfolgungen nicht öffentlich aufgestanden war. Die Bitten seiner Frau hatten allerdings dazu geführt, daß er Dutzende von Juden vor der Inhaftierung bewahrte.
Im Jahre 1938 beförderte Hitler Hermann Göring zum Generalfeldmarschall und ernannte ihn zum Wirtschaftsminister des Reiches. Als Reichsluftfahrtminister war er gleichzeitig Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Er glaubte von Braun, daß man eine Rakete bauen könnte, mit der Amerika zu erreichen war, aber das war zu jener Zeit ein Hirngespinst. Erst zwei Jahrzehnte später waren die Probleme der Interkontinentalrakete gelöst.
Trotz der hohen Positionen, die er einnahm, neigte er zur Wirklichkeitsflucht. Im Jahre 1939 erklärte er vor der deutschen Öffentlichkeit: »Sollte je ein feindlicher Bomber das Ruhrgebiet erreichen, will ich Meier heißen.«
Kurz darauf wurde er nicht nur von den Nazibonzen, sondern auch von der Öffentlichkeit Herr Meier genannt – und das des öfteren. Die Herzlichkeit, die einem Spitznamen wie >der Dicke< innewohnt, war darin allerdings nicht mehr vorzufinden. Die britischen und amerikanischen Bomber legten Deutschland in Schutt und Asche. Zuerst waren die Invasionsversuche der Luftwaffe gegen England fehlgeschlagen – und nun war sie nicht einmal mehr in der Lage, die Vergeltungsschläge abzuwehren, die dazu führten, daß Scharen metallener Vögel das Reich mit tödlichen Eiern bewarfen. Hitler machte Göring sowohl für das eine als auch für das andere verantwortlich – und das, obwohl es seine eigene Idee gewesen war, anstelle der RAF-Basen zuerst die englischen Städte zu bombardieren, und es mithin seine Schuld war, daß Deutschland nun in der Klemme steckte. Ebenso führte seine Entscheidung, das neutrale Rußland zu überfallen, bevor England in die Knie gezwungen worden war, dazu, daß es mit dem Reich langsam aber sicher bergab ging.
Nachdem die Nazis sich Norwegen in die Tasche gesteckt hatten, juckte es Hitler, auch die Schweden zu überfallen, aber Göring, der das Land liebte, hatte, sollte dieser Plan durchgeführt werden, seinen Rücktritt angedroht. Außerdem hatte er Hitler klarzumachen versucht, daß ein neutrales Schweden ihnen weitaus dienlicher sein konnte.
Görings Gesundheit war bereits vor dem Krieg nicht mehr die beste gewesen, und so kam es, daß er aufgrund seiner sinkenden Popularität, ständiger Konflikte und Krankheiten wieder zu den Drogen griff. Er war ängstlich, nervös, wurde melancholisch, geriet leicht ins Schleudern und verlor die Kontrolle über sich. Es gab keine Möglichkeit, den Abstieg aufzuhalten. Und zu allem Übel strebte sein geliebtes Land einer Götterdämmerung entgegen, die ihn entsetzte, Hitler jedoch seltsamerweise erfreute.
Als die Alliierten Deutschland von allen Seiten eingekreist hatten, dachte Göring, daß es nun an der Zeit sei, die Macht an sich zu reißen. Statt dessen enthob ihn der Führer aller Titel und Ämter und ließ ihn aus der Nazipartei ausschließen. Martin Bormann, sein schlimmster Feind, ließ ihn verhaften.
Gegen Kriegsende wurde er bei dem Versuch, sich den Russen durch die Flucht zu entziehen, von einem amerikanischen Leutnant, der ironischerweise Jude war, in Gewahrsam genommen. Während der Nürnberger Prozesse verteidigte er sich zwar, zeigte aber wenig Überzeugungskraft. Trotz allem, was Hitler angerichtet hatte, verteidigte er auch ihn. Bis zum
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