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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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besonders eindrucksvolle Erscheinung, aber er hatte eine Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen konnte. Ruth hatte einmal von ihm gesagt, er sei eher ein Dynamo als ein Mensch. Er konzentrierte sich normalerweise voll auf das, was ihn gerade beschäftigte, und ließ alle anderen Gegenstände und Menschen unbeachtet.
    »Ein schwerer Schlag, Liebste«, sagte er. »Dieser Jackie Flint. Alles wie gehabt. Und ich war mir so sicher, dass er diesmal durchhalten würde, wenn er eine echte Chance bekäme. Es war ihm nicht ernst damit. Du weißt doch, wir waren darauf gekommen, dass Eisenbahnen es ihm von jeher angetan hatten, und sowohl Maverick als auch ich selbst dachten, wenn wir ihm eine Arbeit bei der Bahn beschaffen, bleibt er dabei und bessert sich. Aber es ist wieder das alte Lied. Kleine Diebstähle im Paketlager. Nichts, was er gebrauchen oder verkaufen könnte. Das ist der Beweis, dass es psychisch sein muss. Wir sind noch nicht zum Kern des Übels vorgestoßen, aber ich gebe mich nicht geschlagen.«
    »Lewis, das ist meine alte Freundin Jane Marple.«
    »Ah, guten Tag«, sagte Mr Serrocold zerstreut. »Sehr erfreut. Er kommt natürlich vor Gericht. Dabei ist er so ein netter Kerl, nicht allzu viel Grips, aber wirklich ein netter Junge. Stammt aus unsäglichen Verhältnissen. Ich –«
    Er brach plötzlich ab, und der Dynamo schaltete auf den Gast um.
    »Miss Marple, wie schön, dass sie eine Zeit lang bei uns bleiben wollen. Es wird Caroline gut tun, eine Freundin aus alten Tagen um sich zu haben, mit der sie Erinnerungen austauschen kann. Sie hat es in mancher Hinsicht nicht leicht hier – die armen Kinder haben ja oft ein so trauriges Schicksal. Wir hoffen sehr, dass Sie uns möglichst lange erhalten bleiben.«
    Miss Marple spürte die Ausstrahlung und konnte nachempfinden, wie attraktiv er für ihre Freundin gewesen sein musste. Dass Lewis Serrocold ein Mensch war, der jederzeit eine Sache über Menschen stellen würde, bezweifelte sie keinen Augenblick. Manche Frauen hätte das irritiert, Carrie Louise jedoch nicht.
    Lewis Serrocold zog einen anderen Brief hervor. »Na, jedenfalls sind auch ein paar gute Nachrichten dabei. Das hier ist von der Bank von Wiltshire und Somerset. Der junge Morris macht sich sehr gut. Sie sind äußerst zufrieden mit ihm, und nächsten Monat wird er sogar befördert. Ich habe immer gewusst, dass er nur eins braucht, Verantwortung – und eine gründliche Kenntnis vom Umgang mit Geld und seiner Bedeutung.«
    Er wandte sich an Miss Marple.
    »Die Hälfte dieser Jungen weiß nicht, was Geld ist. Für sie bedeutet es nur, dass sie ins Kino oder zum Hunderennen gehen, sich Zigaretten kaufen können. Dabei können sie sehr gut mit Zahlen umgehen und finden es aufregend, damit zu jonglieren. Ja, und ich glaube daran, dass man sie – wie soll ich sagen – mit der Nase darauf stoßen muss, sie in Buchführung, im Rechnen ausbilden, ihnen sozusagen die ganze dem Geld innewohnende Romantik zeigen. Man muss ihnen die Fertigkeiten vermitteln und ihnen dann Verantwortung übertragen, sie ganz offiziell damit hantieren lassen. Auf diese Weise haben wir unsere größten Erfolge erzielt – nur zwei von achtunddreißig haben uns enttäuscht. Einer ist sogar Chefkassierer in einer pharmazeutischen Firma – eine echte Vertrauensstellung –«
    Er unterbrach sich und sagte zu seiner Frau: »Der Tee ist serviert, Liebste.«
    »Ich dachte, wir nehmen ihn hier. Ich hatte es Jolly gesagt.«
    »Nein, in der Halle. Die anderen sind schon da.«
    »Ich dachte, die wären alle außer Haus.«
    Carrie Louise hakte sich bei Miss Marple unter, und sie gingen in die Große Halle. Was dort angerichtet war, wollte nicht so recht in diese Umgebung passen. Das Teegeschirr war nachlässig auf ein Tablett gestapelt – weiße Kaufhaustassen gemischt mit den Überbleibseln einstiger Rockingham- und Spode-Teeservice. Es gab einen Laib Brot, zwei Töpfe Marmelade und ein paar billige, unappetitliche Kuchen.
    Eine dickliche, grauhaarige Frau mittleren Alters saß am Teetisch, und Mrs Serrocold sagte: »Das ist Mildred, Jane. Meine Tochter Mildred. Du hast sie nicht mehr gesehen, seit sie ein ganz kleines Mädchen war.«
    Von allen, die Miss Marple bis jetzt gesehen hatte, passte Mildred Strete am besten in dieses Haus. Sie wirkte wohlhabend und würdig. Sie hatte in ihren späten Dreißigern einen Kanonikus der Church of England geheiratet und war jetzt verwitwet. Sie sah auch genau aus wie die Witwe eines Kanonikus,

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