Fay - Das Vermaechtnis des Blutes
denn die letzten Ereignisse waren furchtbar verstörend gewesen.
Vor ihrem geistigen Auge erschienen ihre Eltern. Ihr Vater fuhr den Van, ihre Mutter war die Beifahrerin und sie selbst saß auf der Rückbank. Gemeinsam waren sie auf dem Weg zu einer Hütte in den Bergen. Dort wollten sie ihren achtzehnten Geburtstag feiern. Während der Fahrt unterhielten sie sich angeregt und lachten über die Scherze ihres Vaters.
Und plötzlich geriet alles außer Kontrolle. Der rote Van überschlug sich mehrere Male. Dalila musste entsetzt mit ansehen, wie ihre Eltern in der Fahrerkabine, nur noch von den Sicherheitsgurten gehalten, hin und her gewirbelt wurden. Ihre Körper hingen leblos von der Decke, als der Wagen auf dem Dach zum Stehen kam. In ihrer Erinnerung hörte sie sich selbst hysterisch schreien. Wie eine Verrückte zerrte sie an ihrem Gurt und versuchte sich zu befreien, um ihren Eltern zur Hilfe zu eilen. Und dann erschien aus dem Nichts ein greller Lichtkegel. Danach riss ihre Erinnerung ab und verschwamm hinter einem milchigen Schleier.
Voller Entsetzen starrte Dalila die alte Dame an, die ihr zur Seite stand. Nach und nach setzten sich die Bruchstücke zu einem gesamten Ereignis zusammen. Eines das nicht tragischer in ihren jungen Jahren hätte sein können.
Ein klägliches Wimmern erklang aus ihrer Kehle. Sie versuchte es zu unterdrücken und presste sich eine Hand auf den Mund. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, wodurch ihr langes Haar ihr in wirren Strähnen ins Gesicht fiel. Sie wollte es nicht wahr haben. Ungehalten rannen dicke Tränen über ihre Wangen. Nun konnte auch Abigale ihre Trauer nicht mehr zurück halten und fing ebenfalls zu schluchzen an. Der Chefarzt räusperte sich erneut und erzählte mit monotoner Stimme, was geschehen war. In seinen Worten lag keinerlei Emotion. Scheinbar überbrachte er während der Laufbahn seiner Karriere regelmäßig Hiobsbotschaften, denn er schien darin geübt zu sein. Wie in einer Tonbandansage ratterte er die notwendigsten Details herunter, ohne jede Gefühlsbetonung. Dalila war wie betäubt und schnappte nur einzelne Fragmente auf.
„Ihre Eltern sind bei dem Autounfall ums Leben gekommen…sie waren beide sofort tot…aber wie durch ein Wunder, haben Sie mit leichten Verletzungen überlebt.“ Mit bebenden Schultern saß Dalila in ihrem Bett. Schleichend wurde ihr bewusst, dass sie keine Eltern mehr hatte. Zuletzt verlautete der Arzt, dass sie entlassen werden konnte und, dass sich noch einige Gepäckstücke, die aus dem Autofrack unversehrt geborgen werden konnten, im Schrank befanden. Anschließend notierte er etwas in seinen Unterlagen, klemmte sich die Mappe unter den Arm und verließ ohne jede Beileidsbekundung das Zimmer. Die Krankenschwestern folgten ihm umgehend.
Erst als sie alleine mit der alten Woods war, ließ Dalila es zu, sich endgültig von ihrem Schmerz überwältigen zu lassen. Sie sackte in sich zusammen und begann bitterlich zu weinen. In ihrer Brust brannte der quälende Verlust ihrer Eltern und fraß sich in ihre Seele. Sie begann zu hyperventilieren und japste nach Luft, während sich ihr ganzer Körper unkontrolliert verkrampfte. Inständig hoffte sie, dass es sich nur um einen weiteren Albtraum handelte und sie jede Sekunde davon erwachen würde. Doch es fühlte sich alles zu real an.
Da wurde ihr auf einmal noch etwas bewusst. Sie erinnerte sich wieder daran, wie es überhaupt zu dem Unfall gekommen war. Es war ihre Schuld gewesen. Während der langen Autofahrt war sie eingeschlafen. Wie schon des Öfteren hatte sie in den letzten Tagen vor ihrem Geburtstag seltsame Träume gehabt, aus denen sie meist schreiend erwachte. Auch dieses Mal schrie sie wieder im Traum. Ihre Eltern drehten sich besorgt nach ihr um. Es waren nur wenige Sekunden gewesen, doch plötzlich erschien wie aus dem Nichts ein Lastwagen. Ihr Vater hatte keine Chance mehr dem riesigen Stahlblechungetüm auszuweichen.
Dalila zerrte am Kragen ihres Schlafgewands. Wenn sie es gekonnt hätte, hätte sie sich am liebsten ihr Herz aus der Brust gerissen. Sie wollte nicht mehr weiter Leben. Nicht nachdem sie nun wusste, dass sie den Tod ihrer geliebten Eltern zu verschulden hatte. Sie hatte es nicht verdient am Leben zu sein, während ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr unter den Lebenden verweilen durften. Doch jedes Betteln und Flehen blieb von Gott unerhört. Ihre Strafe war es am Leben zu sein und sich jeden Tag daran zu erinnern was sie getan hatte, bis auch
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