Fay - Das Vermaechtnis des Blutes
sie eines Tage sterben und die Schuld mit ins Grab nehmen würde. Es gab nicht einmal jemanden, den sie um Verzeihung hätte bitten können.
Indessen schlug ihre Trauer in Wut um. Sie war wütend auf sich selbst. Während sie weinte realisierte sie, dass sie nicht besser war als ihre Großmutter, vor der ihre Mutter einst geflüchtet war. Immer wieder musste sich Dalila von ihr anhören, wie sehr sie ihr in ihrer Denkweise ähnelte. Auch sie hatte ein Faible für Märchen und hatte eine blühende Fantasie. Dalila glaubte zu verstehen, dass es nur sinnvoll war vor Menschen wie ihr das Weite zu suchen, denn sie brachte letztendlich nur Verderben über die die sie liebten.
Ihre Wut steigerte sich zu Selbsthass. Mit ihren Fantastereien war sie ihren Eltern nur ein Glotz am Bein gewesen. Oft hatte sie ihre Mutter ermahnt nicht die Realität aus den Augen zu verlieren, doch sie hatte nicht auf sie hören wollen. Stattdessen schmökerte sie weiter in alten Märchenbüchern, wovon sie immer regelmäßiger Albträume bekam.
Von diesem Tag an beschloss Dalila nie wieder an Märchen zu glauben und alles was dazu gehörte. Sie verbot sich jemals wieder glücklich zu sein, denn sie hatte es nicht verdient. Das war sie ihren Eltern schuldig gewesen. Es war das Mindeste, was sie für sie tun konnte.
Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und löste sich aus der trostspendenden Umarmung von Abigale, denn Trost hatte sie nicht verdient.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte sie die alte Dame mit dünner Stimme.
„Genau eine Woche lang“, erwiderte sie und wollte ihr das Haar aus dem Gesicht streichen, doch Dalila wich ihrer liebevollen Berührung aus.
„Der Arzt meinte, dass dies eine normale Reaktion des Körpers sei, um sich vor solchen tragischen Erlebnissen zu schützen“, erklärte sie weiter. Dalila begann zu grübeln. Es machte Sinn, denn mitzuerleben wie die eigenen Eltern starben war ein einschneidendes Erlebnis, das man nur schwer verarbeiten konnte. Somit wurde ihr Geburtstag gleichzeitig zum Todestag, an dem es für sie nichts mehr zum Feiern gab. Mit einem Schlag musste sie die brüchige Hülle ihrer Kindheit abstreifen und erwachsen werden. Noch nie fühlte sie sich den Dingen des Lebens so hilflos ausgeliefert, wie zu diesem Zeitpunkt.
„Was ist mit der Beerdigung? Was genau muss ich machen, damit sie ein anständiges Begräbnis bekommen?“ Dies waren momentan die wichtigsten Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten. Ihr wurde ganz Elend zumute bei dem Gedanken, dass die Körper ihrer toten Eltern in irgendeinem Kühlhaus lagerten und darauf warteten unter die Erde gebracht zu werden. Die alte Woods konnte sie jedoch beruhigen. Ihre Eltern hatten ihre Nachbarin bereits instruiert, bei ihrem zeitigen Ableben ihren Notar zu kontaktieren. Der wusste was zu tun war. Er hatte genaue Details zu Fragen wie der Sarggröße und aus welchem Holz sie bestehen sollten. Ob sie ein Ehegrab wollten und wie ihr letztes Gewand aussehen sollte. Sogar die Grabrede war bereits festgelegt worden. Es war seltsam für Dalila dies alles zu erfahren, denn es kam ihr so vor als ob ihre Eltern bereits damit gerechnet hatten, ihre einzige Tochter bald verlassen zu müssen. Sie erschauderte bei dem Gedanken.
Der Teenager trocknete wischte sich die Tränen ab, straffte die Schulter und nahm einen tiefen Atemzug. Dann schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Ihre Bettlägerigkeit dauerte zwar nur eine Woche, doch ihre Beinmuskulatur war bereits geschwächt. Auf wackeligen Knien hielt sie sich am Bettgestell fest und schüttelte abwehrend den Kopf, als ihr Abigale zur Hilfe eilen wollte. Ihre Beine schmerzten und die Muskeln brannten durch die Belastung, doch sie biss tapfer die Zähne zusammen und wankte zum Wandschrank hinüber.
Darin fand sie ihre alte Reisetasche die sie eigens für den Familienausflug gepackt hatte und eine kleine bordorote Umhängetasche. Diese kam ihr jedoch nicht bekannt vor. Doch da sie zu den Fundsachen gehörte die aus dem zerstörten Autofrack noch unversehrt geborgen werden konnte, musste es sich um eine Tasche ihrer Mutter handeln. Mit schwerem Gepäck in den Händen hinkte sie zurück zum Bett und legte die Taschen dort ab.
Abigale Woods war feinfühlig genug gewesen um zu wissen, dass sie der jungen Frau ein wenig Zeit für sich alleine lassen sollte. Zeit genug um die vergangenen Minuten und die einhergehenden neuen Erkenntnisse zu verarbeiten. Daher entschuldigte sie sich und
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