FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
erachtet hatte, war aufgehoben. Er schwor, alles zu unternehmen, um die Weathermen zu stoppen. Sullivans Stellvertreter Charles D. Brennan, soeben zum Chef der FBI-Abteilung für innere Sicherheit ernannt, äußerte sich ebenso. Er spürte immensen Druck aus dem Weißen Haus, das Land gegen »Angriffe [der Linken] auf die Polizei im Allgemeinen und das FBI im Besonderen« zu verteidigen. [459] Er glaubte, das FBI müsse der Drohung der Radikalen entgegentreten, »kommandoartige Einheiten zu bilden«, die Terrorakte ausführen würden, »darunter auch Mordanschläge«. [460]
FBI-Agenten im ganzen Land rüsteten zu neuen verdeckten Operationen, die gleichermaßen gegen friedliche Demonstranten wie gegen gewalttätige Militante gerichtet waren. Eine Einsatzgruppe versuchte die extreme Linke zu unterwandern. Die Undercover-Agenten gaben sich als politisch radikalisierte Vietnam-Veteranen aus, die über jede Menge Waffen und Drogen verfügten. Vier oder fünf von ihnen gefiel ihr neues Leben so gut, dass sie dabeiblieben. »Sie waren ein Häufchen Abtrünnige«, sagte FBI-Mitarbeiter Bernardo Perez, der Jahre später den kniffligen Auftrag bekam, sie im Zaum zu halten. [461]
Über manche der politisch brisantesten Operationen wusste Hoover nicht Bescheid. Am 1. Januar 1970 war der fünfundsiebzigste Geburtstag des Direktors. Sullivan und viele seiner Top-Agenten merkten, dass sich sein Wahrnehmungsvermögen verschlechterte, dass ihm seine Autorität entglitt und dass er immer weniger mitbekam, was beim FBI tagtäglich vor sich ging.
»Hoover hatte keine Ahnung davon, dass wir bei den Demonstrationen Agenten hatten, die in Jeans und diesen Klamotten wie ganz normale Leute aussahen«, sagte Courtland Jones, ein FBI-Agent, der tagtäglich für Kissingers Lauschangriff geradestehen musste. »Hoovers Reaktion war: ›Wer hat das genehmigt?‹«
»Er war wirklich nicht mehr auf dem Laufenden«, sagte Jones. »Er hätte schon Jahre vor seinem Tod seinen Hut nehmen sollen. Eins tat er nie, und er wollte nichts davon hören: sich jemand heranziehen, der seinen Platz einnehmen konnte.« [462]
Nur einer wagte es offen, Hoovers Nachfolge zu beanspruchen. Nur einem wäre dies beinahe gelungen. Und das war Bill Sullivan, der Mann, der die dunkelsten Geheimnisse des FBI kannte.
34
»Reißt den Tempel ein«
Nach einem halben Jahrhundert als Amerikas oberster Konterrevolutionär besaß Hoover keine unangefochtene Autorität mehr.
Er hatte sich im Weißen Haus, im Kongress und innerhalb des FBI Feinde gemacht, und dort brachte man zunehmend den Mut auf, ihm die Gefolgschaft aufzukündigen. Der Präsident und der Justizminister sprachen über Hoovers Ablösung. Die Kontrolle über Geheiminformationen war immer der Hauptquell von Hoovers Macht gewesen. Die hatte er inzwischen eingebüßt.
Am 1. Juni 1970, einem Montag, traf er eine verhängnisvolle Entscheidung. Später würde er von »dem größten Fehler, den ich je gemacht habe«, reden. Er beschloss, Bill Sullivan zur Nummer drei in der FBI-Hierarchie zu machen und ihm somit die Leitung der Kriminalermittlungen sowie der Nachrichtendienstprogramme zu übertragen. Sullivan war jetzt für das Tagesgeschäft zuständig – einem Mann, der bei seinen Kollegen als »Crazy Bill« bekannt war, konnte so viel Macht leicht zu Kopf steigen. [463]
Hoover hatte ihn für loyal gehalten. Das war er ursprünglich auch gewesen. Aber Sullivan, Schöpfer und Herrscher über COINTELPRO, ein Meister der politischen Kriegsführung, war unter Hoovers strenger und zunehmend unsicherer Hand zunehmend ungeduldig geworden. Seinen Kollegen von der CIA und seinen Kontakten im Weißen Haus vertraute er an, dass der Boss allmählich keinen Mumm mehr habe. Er sagte auch, das FBI werde im Kampf gegen die radikale Linke an Boden verlieren. Es sei an der Zeit, riet Sullivan dem CIA-Direktor Richard Helms, endlich »dem Wind der Veränderung vorauszueilen, anstatt sich von ihm treiben zu lassen«. [464]
Jetzt hatte er die Chance, sein Anliegen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten persönlich vorzutragen.
Nixon wusste, dass Sullivan für die Telefonüberwachung Kissingers zuständig gewesen war und einige der wichtigsten Journalisten und Kolumnisten Washingtons sowie deren mutmaßliche Informanten in hohen Ämtern abhörte. Ein Jahr zuvor, nachdem die ersten Abhörvorrichtungen installiert worden waren, hatte Nixon den von Ehrgeiz getriebenen neunundzwanzigjährigen
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