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FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)

FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)

Titel: FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Weiner
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führen. Den ganzen Sommer über und bis in den Herbst hinein belauschte Dyson die Mitglieder der Gruppe, wie sie argumentierten, debattierten und Pläne schmiedeten. Er wurde Zeuge der ungestümen Gründung einer Terrorbande.
    »Ich sah ihnen dabei zu, wie sie die Weathermen wurden! Ich war bei ihnen, als sie die Weathermen wurden!«, sagte er. »Es war aufregend. Ich wurde Zeuge, wie Geschichte geschrieben wurde.« Fast genau fünfzig Jahre zuvor, im September 1919 in Chicago, hatten J. Edgar Hoovers Agenten belauscht, wie die Kommunistische Partei der Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurde. Dyson setzte ihre Tradition fort.
    Die Weathermen sahen sich als Revolutionäre, die Amerika stürzen konnten – eine Vision, die teilweise dem LSD-Konsum geschuldet war. Sie nannten sich Kommunisten, aber ihre Taktik ähnelte mehr der Taktik der italienischen Anarchisten, die nach dem Ersten Weltkrieg in Washington und in der New Yorker Wall Street Bombenanschläge verübt hatten. »Anarchisten ist ein ziemlich beschönigender Ausdruck für sie«, sagte John Kearney vom FBI, der in New York bei vielen Einsätzen gegen die Weathermen die geheime Squad 47 geleitet hatte und später wegen Einbrüchen ohne richterliche Anordnung unter Anklage gestellt wurde. »Sie waren Terroristen.«
    Ihre Führer waren weiß, gutaussehend und gebildet und stammten zum Teil aus wohlhabenden Familien. Sie versuchten ein Waffenbündnis mit den Black Panthers zu schmieden. In Kuba trafen sie sich mit Vertretern der nordvietnamesischen Regierung. Mit einem strengen Gruppendenken, das der Vorsitzende Mao bewundert hätte, drillten sie sich in Disziplin. Sie kämpften miteinander und schliefen miteinander. Und Dyson hörte zu. »Ich wusste mehr über diese Leute als sie über sich selbst. Wenn man ein Telefon abhört, wenn man es gut macht, dann wird man so«, sagte er. »Manchmal lebte ich 24 Stunden mit diesen Leuten, sieben Tage die Woche.«
    Aber dann wurden die Weathermen zum Weather Underground. Im Herbst 1969 verlegten sie ihre Aktivitäten von offener Aufwiegelung zu heimlichem Bombenbasteln. Auf einmal waren sie wie vom Erdboden verschluckt. Dysons Mikrophone blieben stumm. Eine Wende, die das FBI wie aus heiterem Himmel traf. Die Abhörspezialisten verfolgten Anrufe zu Münzfernsprechern nach und installierten Funksender in öffentlichen Telefonzellen, aber die Spur blieb kalt. Dem Chef der nachrichtendienstlichen Abteilung Bill Sullivan liefen Angstschauer über den Rücken. Am 8. September 1969 hatte er berichtet, dass die Gruppe »das Potential hat, der Sicherheit dieses Landes sehr viel mehr Schaden zuzufügen, als die Kommunistische Partei es jemals vermocht hat, nicht einmal auf der Höhe ihrer Macht in den 1930er Jahren«. [458]  
    Von Chicago aus breiteten sich Geheimzellen der Weathermen mit jeweils vier oder mehr Mitgliedern im ganzen Land aus, von New York bis San Francisco. In jenem Winter jagten sich drei wichtige Mitglieder der New Yorker Gruppe in einem eleganten Stadthaus an der 11. Straße West selbst in die Luft, als sie versuchten, 60 Dynamitstangen zu einer Bombe zusammenzubauen, die Soldaten in Fort Dix, New Jersey, hätte treffen sollen. Nach diesem tödlichen Fiasko ging die Bewegung noch tiefer in den Untergrund, konnte aber während der Nixon-Regierung trotzdem alle paar Monate neue Gewalttaten auf ihr Konto verbuchen und verhöhnte das FBI und das Weiße Haus mit flammenden Flugblättern und Bombenanschlägen an Orten, die als uneinnehmbar galten. Eine Gruppe mit kaum hundert Mann – im Kern ein Dutzend Entscheidungsträger und Bombenbastler – begann die Regierung der Vereinigten Staaten Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in den Wahnsinn zu treiben.
    Dyson, der als leitender Agent mit dem Fall betraut wurde, nahm sie beim Wort. Er stufte die Bedrohung als äußerst ernst ein, und das taten auch seine Vorgesetzten. Die Botschaft aus dem Untergrund, wie er sie las, zeugte von einem mörderischen Vorsatz: »Wenn ihr den Krieg nicht beendet, werden wir eure Kongressabgeordneten töten. Wir werden eure Senatoren töten. Wir werden den Präsidenten töten.«
    »Sie waren in der Lage, sich Zugang zum Kapitol zu verschaffen, in einer Wand eine Bombe einzubauen und sie zielgenau zu zünden«, sagte Dyson. »Sie drangen ins Pentagon ein […] Wenn sie anriefen und sagten, dass sie in genau fünf Minuten hochgeht, dann ging sie auch in fünf Minuten hoch. Was ihre Raffinesse und ihre Fähigkeit

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