FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
FBI, Platz zu machen«. Sie verhörten al-Katani 24 Stunden ununterbrochen, legten ihm eine Hundeleine an und ließen ihn Kunststückchen vorführen, stellten ihn nackt zur Schau, setzten ihn Kälte aus bis zur Unterkühlung, umwickelten sein Gesicht mit Klebeband, gingen mit knurrenden Hunden auf ihn los und befahlen ihm, ein Götzenbild anzubeten.
Am 22. Oktober 2002 eröffneten die FBI-Agenten in Guantánamo eine Akte, die sie später mit »Kriegsverbrechen« überschrieben.
Eine E-Mail aus Kuba, die im November bei den Spitzen der Terrorabwehr-Abteilung kursierte, unterrichtete hochrangige Beamte darüber, was die Agenten sahen und hörten. »Diejenigen, die diese Methoden anwenden, sollten angeklagt, strafrechtlich verfolgt und gegebenenfalls verurteilt werden«, erklärte Spike Bowman, Chef der National Security Law Unit des FBI, seinen Kollegen im Hauptquartier. »Wir haben keinen Einfluss darauf, was das Militär tut«, schrieb er. »Aber wir müssen uns davon distanzieren und so viele diesbezügliche Informationen wie möglich […] so bald wie möglich an Mueller weiterleiten.« [661]
Niemand leitete die Informationen an Mueller weiter.
Die FBI-Agenten berichteten weiterhin von den Vorfällen in Guantánamo. Der Inhalt ihrer Berichte ging von den Juristen beim FBI zu den höchsten Ebenen im Justizministerium. Mueller jedoch wurde von seinen engsten Beratern vor einer immer heftiger werdenden Kontroverse abgeschirmt – einem »andauernden, endlosen Grabenkampf«, wie Ashcrofts Stabschef es formulierte, zwischen dem Justizministerium, der CIA, dem Pentagon und dem Weißen Haus. Der Streit um Verhöre, Informationen, Folter und das Recht währte über ein Jahr. [662]
Ali Soufan löste das Ganze auf seine Art. Er verließ das FBI 2005 – ein seltenes Ereignis in der amerikanischen Regierung, dass jemand aus Gewissensgründen wegen einer Ehrensache seinen Posten aufgab.
»Niemand war entsetzter«
Während der Streit über die Verhöre weiter gärte, musste sich Mueller erneut mit einer erbitterten Auseinandersetzung über die Rechtsstaatlichkeit und die Rolle des FBI herumschlagen. Vizepräsident Cheney hatte das amerikanische Militär in eine muslimische Enklave in Lackawanna schicken wollen, ein verschlafenes Städtchen im Westen des Bundesstaates New York an der kanadischen Grenze. Die Truppen sollten sechs mutmaßliche Al-Qaida-Unterstützer – allesamt amerikanische Staatsbürger – ergreifen, sie als mutmaßliche feindliche Kombattanten nach Guantánamo schicken und dort für immer wegsperren.
Man befürchtete, dass die Verdächtigen in Lackawanna tickende Zeitbomben waren, eine Schläferzelle verdeckter Al-Qaida-Agenten. Alle hatten familiäre Wurzeln im Jemen. Alle waren in Afghanistan gewesen. Aber Mueller konnte das Weiße Haus bewegen, die Angelegenheit dem FBI zu überlassen und nicht der Armee.
Für die Ermittlungen waren die Kräfte des FBI, der CIA und der Nationalen Sicherheitsbehörde gebündelt worden. Sie trafen mit voller Wucht am 3. November 2002 auf einer abgelegenen Straße im Jemen ins Ziel, als eine Predator-Drohne, bewaffnet mit Hellfire-Raketen, einen mit sieben Männern beladenen Pick-up zerstörte. Einer war ein Al-Qaida-Mitglied und vermutlich an dem Bombenanschlag auf die Cole beteiligt gewesen; man war ihm mit einer Kombination aus Soufans Verhören, dem Data-Mining der NSA und der CIA-Überwachung auf die Schliche gekommen. Ein anderer war Karmal Derwisch, der in Lackawanna gelebt, mit den in Haft genommenen Verdächtigen in Kontakt gestanden und ihnen geraten hatte, nach Afghanistan zu gehen. Gegen ihn wurde Geheimanklage erhoben. Sein Schicksal war besiegelt: Er war der erste Amerikaner, der im Krieg gegen den Terror von Amerikanern ins Visier genommen und getötet wurde.
Als sich Präsident Bush in seiner Rede an die Nation vom 28. Januar 2003 für eine Ausweitung des Kriegs gegen den Irak starkmachte, bezeichnete er die sechs Männer aus Lackawanna als Al-Qaida-Zelle. Das FBI sollte feststellen, dass das nicht den Tatsachen entsprach. Es gab keinerlei Beweise dafür, dass sie einen Anschlag geplant hatten. Sie waren keine Schläfer. Sie waren leicht beeinflussbare junge Männer, die widerstandslos mit der Regierung zusammenarbeiteten und mit einer relativ milden Strafe von sieben Jahren davonkamen. Drei von ihnen traten in das staatliche Zeugenschutzprogramm ein und sagten bei den Strafprozessen in Guantánamo als Zeugen für die Vereinigten Staaten
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