Feenland
sein
Gegner weicht der Klinge ebenso träge aus; es hat den Anschein,
als bewegten sich beide wie im Schlaf unter der schweren
Dunstglocke.
Zwei Angehörige eines Sicherheitsdienstes beobachten die
Szene aus dem Hintergrund, und Alex zieht den Kopf ein, als einer der
beiden ihn mit einem gleichgültigen Blick streift.
Plötzlich kommen ihm die an Gebäudefassaden und oberhalb
von Verkehrsschildern montierten Kameras und Mikrophone quälend
zu Bewußtsein. Es geht das Gerücht, daß die Triaden
das Sicherheitsnetz anzapfen und mit Hilfe eines KI-Systems bestimmte
Gesichter aus der Menge filtern. Und da ist er, unterwegs in das
symbolische Herz ihres Territoriums, auf Geheiß eines kleinen
Mädchens, das er nicht einmal kennt.
Das kleine Mädchen hat ihn zur Filiale des Pizza Express in
der Dean Street bestellt, einem gehobenen Lokal, in dem vor allem
Medien-Typen verkehren. Obwohl der Laden halb leer ist, bekommt Alex
einen kleinen Tisch nahe der Küche zugewiesen. Eine Gruppe
Schlipsis, die Anzugjacken lässig über die Stuhllehnen
gehängt, sitzt lärmend an dem langen Tisch vor dem
Panoramafenster. Alex bestellt eine Flasche Weißwein und
verschlingt zwei große Stücke Heidelbeer-Käsekuchen.
Er sieht sich eben suchend nach dem Kellner um, als sie aus dem
Nichts auftaucht und ihm gegenüber Platz nimmt.
Sie wirkt älter als auf dem Telefon-Bildschirm. Sie
trägt grüne Bermudas und ein weißes T-Shirt, das die
dünnen Arme freigibt. Die Augen unter den dichten Brauen, die
einen einzigen Strich quer über die Stirn bilden, sind so
dunkel, daß sie schwarz wirken. Mediterrane Gene, denkt Alex.
Ihr kräftiges schwarzes Haar ist am Hinterkopf zu einem Zopf
geflochten. Sie bestellt lässig eine Pizza für zwei
Personen und eine Pepsi, lehnt sich zurück und wirft Alex einen
kühlen, abschätzenden Blick zu.
Alex will wissen, wie er sie ansprechen soll. Alfred Russel
Wallace erscheint ihm ungeeignet. Sie sagt, Milena fände sie
okay, und als er fragt, ob das ihr richtiger Name sei, entgegnet sie
mit einem Lächeln: »Er ist so gut wie jeder
andere.«
Da Alex schätzt, daß er nichts mehr zu verlieren hat,
erzählt er ihr von Doggy Dogs Drohung, und sie versucht ihn zu
beschwichtigen.
»Der Junge ist auf seine primitive Art ganz nett, aber er
nimmt sich zu wichtig. Es gibt Tausende wie ihn. Mister Billy Rock
täte gut daran, sein Personal sorgfältiger
auszuwählen.«
Seine Neugier siegt über die Vorsicht. Er will alles wissen.
Die Zusammenhänge kennen. »Er und Delbert tanzen nach
deiner Pfeife, stimmt’s?«
»Findest du?«
Milena wirft einen Blick über die Schulter, als am Tisch der
Schlipsis schallendes Gewieher erklingt, und wendet sich dann mit
einem koketten Lächeln wieder Alex zu – ein ungezogenes,
kleines Mädchen, das längst ins Bett gehört, anstatt
hier zu sitzen und mit einem fremden Mann zu flirten.
Alex gibt nicht so schnell auf. »Delbert und Doggy Dog sind
viel zu beschränkt, um von selbst auf diese neue
Verwendungsmöglichkeit der Puppen zu kommen. Du
dagegen…« Er wechselt das Thema, weil ihm klar wird,
daß er rein gar nichts über sie weiß. »Dieses
Haus – lebst du bei deinen Eltern?«
»Aber nein!« entgegnet Milena ruhig. »Ich habe
keine Eltern. Ich habe eine Firma.«
»Ich verstehe«, sagt Alex, obwohl das eine Lüge
ist.
Die Pizza kommt, und Alex verschlingt den größten Teil
davon, während das kleine Mädchen Milena geziert ein
einziges Stück zu sich nimmt und hin und wieder einen Schluck
Pepsi trinkt. Alex raucht eine Zigarette und schenkt sich das letzte
Glas trüben Chardonnay ein.
Endlich tupft sich Milena die Lippen mit der Serviette ab und
sagt: »Du bist sauer auf mich.«
»Ich möchte wissen, was gespielt wird. Deshalb bin ich
hier.« Alex drückt die Zigarette aus. »Ich kann dir
durchaus Ärger machen, wenn ich will.«
»Das bezweifle ich nicht – aber du bist viel zu smart,
um es zu versuchen. Deshalb habe ich dich ausgewählt.«
»Du hast mich ausgewählt? Weshalb brauchst du mich
überhaupt?«
»Weil ich keinen Zugang zu deinem Arbeitsgebiet habe. Ich
benötige einen Genhacker. Meine Spezialität ist der
Nanoware-Sektor. Haben sie dir schon mal ein Ding
verpaßt?«
»Du meinst einen dieser Fembots?«
»So werden sie heute meist bezeichnet. Aus dem gleichen
Grund, aus dem man einen Revolver als Colt bezeichnet. Du solltest
dich mit Fembots befassen, Alex. Sie bewirken das gleiche wie deine
Viren, nur sind sie reiner und viel intensiver, weil sie
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