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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Kneipier wurde, und er hat immer noch eine Kiste dieser
30-cm-Scheiben aus Vinyl, 45er Singles des einzigen Hits, den er je
landete – ein Trinklied mit dem schwungvollen Backbeat im Stil
von Lover’s Rock, der ihn 1983 immerhin auf Platz 26 der Charts
brachte. Von den Tantiemen, die ihm dieser Song einbrachte, kaufte
Leroy das Commercial Arms.
    Sein Pub war in den Siebzigern und frühen Achtzigern ein
großer Punk- und Ska-Treffpunkt – Bands wie Clash und die
Specials veranstalteten hier einige ihrer ersten Gigs – verlor
jedoch seine Musiklizenz, kurz bevor Leroy den Laden übernahm.
Mitte der Achtziger wurde es zum Schauplatz von Krawallen, als ein
paar Betonköpfe der Nationalfront einen Protestmarsch durch
Brixton abzuhalten versuchten. Und Ende der Neunziger kam es nach der
Auflösung einer Demonstration gegen die Bewaffnung der Polizei
erneut zu einem Tumult – fünftausend Bullen gegen
zehntausend Marschierer. Das war die Zeit, in der Anhänger der
britischen Nationalpartei in geklauten Autos durch Brixton kurvten
und wahllos auf Passanten schossen. Die Kneipe wurde zweimal von
Bewaffneten überfallen, und während der 2000-Jahr-Feiern
versuchte jemand, den Bau abzufackeln, einer von zehntausend
Brandanschlägen, die London in jener Nacht erlebte, ein
Wende-Fieber, das um ein Haar zu einer Neuauflage des Großen
Brandes geführt hätte.
    Leroy hielt zwanzig Jahre lang durch dick und dünn an seinem
Pub fest. Sein Vater war Anfang der Fünfziger ins Land gekommen,
als man in Jamaika eifrig Leute anwarb, um Abhilfe für den
Arbeitskräfte-Mangel der Nachkriegszeit zu schaffen, und er
schuftete bei der U-Bahn, bis sie privatisiert wurde – zwei
Jahre bevor er sein Rentenalter erreicht hatte. Leroys Vater
wußte eine Menge über harte Arbeit und zähes
Durchhalten, aber seine Rente wurde mitsamt dem Bahnbetrieb
privatisiert und schwand rasch zu einer lächerlichen
Pauschalsumme. Dann starb seine Frau, und wie so viele Jamaikaner
damals kapitulierte er vor dem wachsenden Rassismus und packte
für immer seine Koffer.
    Leroy blieb. Auch er weiß eine Menge über zähes
Durchhalten. Als es mit dem Geschäft abwärtsging, fiel es
ihm immer schwerer, das Schutzgeld zu entrichten, das die Familien
der Neuen Triaden forderten, die sich nach der Rückgabe
Hongkongs an die Volksrepublik China im Süden Londons
niedergelassen hatten. Letztlich gelang den Triaden, was die
Brandstifter der Jahrtausendwende nicht geschafft hatten: Sie
ließen die vollbesetzte Kneipe an einem Samstagabend abfackeln.
Fünf Menschen fanden dabei den Tod, und Leroy wanderte für
eine Weile hinter Gitter.
    Solange Alex ihn kennt, schwört Leroy, daß er eines
Tages auf die Inseln seiner Heimat zurückkehren wird. Aber nun
ist er bald zweiundsechzig und hat London bisher nur zweimal in
seinem Leben verlassen: einmal, als er nach dem Brand ins
Gefängnis von Leeds verlegt wurde, und einmal, als er seinen
Vater in Jamaika begrub.
    Jetzt arbeitet Lexis für Leroy, der seine Kneipe mittlerweile
ohne Konzession betreibt und in den letzten fünf Jahren dreimal
die Adresse geändert hat. Bei jedem Umzug hat Leroy den
Billardtisch mit der schweren Schieferplatte, die beiden
Spielautomaten und die altmodische, in rotes Neonlicht getauchte
CD-Jukebox mitgenommen. Seine Kunden sind hauptsächlich
mittelständische Jamaikaner der zweiten und dritten Generation,
die in Brixton ihre kleinen Unternehmen aufgebaut haben –
Minitaxis, Textil- und Elektronikläden, Autowerkstätten,
Imbiß- und Getränkebuden. Sogar ein Arzt und ein paar
Anwälte sind dabei. Sie behandeln den Treff als ihren Privatclub
und helfen Leroy, Ärger mit der Polizei zu vermeiden.
    Leroy schenkt Alex noch einmal Tomatensaft nach und sagt:
»Jetzt sag schon, woher du deine dicke Lippe hast, weißer
Mann! Und erzähl mir nicht, daß du gegen die
Kühlschranktür gerannt bist, denn ich sehe den Abdruck, den
sein Schlagring hinterlassen hat. Hast du ihm einen Grund
gegeben?«
    »Sie versuchten mich einzuschüchtern. Kann ich ein paar
von diesen Chips haben, die mit dem Garnelen-Geschmack? Soviel ich
weiß, bist du der einzige Mensch, der die Dinger noch
verkauft.«
    »Hat deine geplatzte Lippe was mit einem geplatzten Deal zu
tun? Alex, Alex, ich dachte, du machst die schnelle Mark mit diesem
Zeug, das die Köpfe der reichen Nichtstuer vernebelt. Ich
dachte, du hast endlich gelernt, dir Ärger vom Hals zu halten.
Du brichst deiner armen Mutter noch das Herz!«
    »Genau genommen bin ich

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