Feenland
der unter seinen Füßen knarrt. Alex
spürt mit einem Mal sein plumpes Gewicht; er kommt sich vor wie
ein schwerfälliger Ochse, der diesem kleinen Mädchen zur
Schlachtbank folgt, benebelt und betäubt. Sie passieren
Türen mit Milchglasscheiben, auf denen in verblaßten
Goldlettern die Namen längst aufgelöster
Import-Export-Firmen, privater Finanzierungsberater sowie
zweifelhafter Aromatherapie- und Geistheiler-Praxen stehen.
Hinter einer der Türen am Ende des Korridors brennt Licht.
Milena klopft leicht gegen die Glasscheibe; ein großer, leicht
gebeugter Mann öffnet und läßt sie eintreten. Der
Raum ist unmöbliert bis auf ein paar Plastik-Stapelstühle
und einen Schreibtisch mit Metallrahmen, auf dem ein altmodischer
Computer mit Tastenbedienung steht. Eine halboffene Tür
führt zu einem zweiten Raum, der vom Boden bis zur Decke
gefliest ist, weiße Kacheln unter einer Flut weißen
Lichts. Alex glaubt zu wissen, was sich hinter dieser Tür
befindet. Er will sehen, ob er recht hat – und doch wieder
nicht.
»Dr. Dieter Luther«, sagt Milena. »Was er macht,
könnte man als lebendes Sexspielzeug bezeichnen.«
»Man könnte, aber ich würde es nicht tun«,
entgegnet Dr. Luther.
Dr. Luther ist Ende vierzig und hat ein leichenblasses, aber edel
geschnittenes Gesicht, das ihm das Aussehen eines alternden,
alkoholkranken Schauspielers verleiht. Er trägt einen
grünen, am Rücken zugebundenen Arztkittel und
Wegwerfhandschuhe aus Latex. Die Handschuhe quietschen und rascheln,
als er die Hände unter dem Kinn verschränkt und Alex mit
einem kalten, abschätzenden Blick mustert.
»Dr. Luther beliefert mehrere übel beleumundete
Häuser«, sagt Milena. »Seine Arbeit genießt
hohes Ansehen.«
Sie behandelt das Thema sehr sachlich, ein überaus altkluges
kleines Mädchen, das gelassen die Abgründe des
Sexgeschäfts erklärt.
Dr. Luther gestattet sich ein schwaches Lächeln. »Es
gibt eine Reihe von Kennern, die auf meine Dienste angewiesen sind,
einige davon zum Glück in hohen Positionen. Ich bin, müssen
Sie wissen, kein selbständiger Unternehmer, aber wer ist das
heutzutage schon?«
»Du schaffst das noch, Dieter«, sagt Milena. »Davon
bin ich überzeugt.«
Dr. Luther zündet sich eine Zigarette an, nimmt einen langen,
tiefen Zug und hält sie dann geziert in Halshöhe, den
Filter zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich habe meine
Pläne, das ist wahr«, sagt er. »Amsterdam ist sehr
liberal, sehr entgegenkommend. Hier gibt es mehr und mehr dieser
sogenannten Moral-Gesetze. Nun, junger Mann, Sie wissen sicher, wovon
ich spreche. Sie sind, wie ich höre, auch eine Art
Künstler.«
»So könnte man es nennen«, meint Alex
zustimmend.
»Dr. Luther steht in Diensten von Billy Rocks Familie«,
sagt Milena.
Alex sieht Dr. Luther an, der seinen Blick mit einem
amüsierten kleinen Lächeln erwidert. »Was willst du
mir damit sagen?«
»Ich will dir gar nichts sagen«, erwidert Milena.
»Ich gebe dir die Gelegenheit zum Dazulernen. Du kannst daraus
deine eigenen Schlüsse ziehen.«
»Milena testet Sie«, sagt Dr. Luther. »Das ist die
Abwechslung, die sie braucht. So ein kluges kleines Mädchen und
so schnell gelangweilt!«
Dr. Luthers Lächeln wird um einen Millimeter breiter. Es ist
kein angenehmes Lächeln. Es scheint anzudeuten, daß er
Alex in die Seele schauen kann und von dem, was er sieht, nicht
gerade beeindruckt ist.
»Das ist nicht wahr!« widerspricht Milena.
Dr. Luther wendet sich an Alex: »Aber sie ist ein
kluges kleines Ding, finden Sie nicht auch? Wirklich einzigartig. Sie
war mir eine wertvolle Hilfe bei der Modifikation des
Steuer-Chips.«
»Du bist auch ohne mich gut vorangekommen.«
»Milena, Liebes, es gibt zwar Kunden, die mit – sagen
wir mal – passiven Partnern zufrieden sind, aber die
große Mehrheit bevorzugt Reaktionen auf ihre
Aktionen.«
Er wendet sich erneut an Alex: »Milena zeigte mir, wie man
den Chip umprogrammieren kann. Aber wenn Sie mich jetzt
entschuldigen, ich habe eine Menge zu tun… das Geschäft
floriert, Sie verstehen.«
»Sie verwandeln Puppen in Sex-Spielzeug«, sagt Alex. Er
möchte das hinter sich bringen. Schweiß kribbelt ihm auf
der Kopfhaut.
»Da drinnen«, bestätigt Milena und nimmt Alex bei
der Hand. Sie führt ihn in den weißgekachelten Raum, zu
einem Stahltisch unter einem Gerüst mit gleißenden
Scheinwerfern. Etwas liegt darauf.
Es sieht aus wie ein blauhäutiges Kind mit völlig kahlem
Kopf. Es scheint einen grünen Verband über
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