Fehltritt Im Siebengebirge
vergessen. Das Haus lag zwischen den schönen alten Gebäuden mit ihren gleichmäßigen Gesimshöhen und restaurierten Fassaden im Dreieck Poppelsdorfer Schloß und Bonner Talweg. In Minuten erreichte man hier bürgerliche Wohlstandsstraßen mit hehren Namen zum Ruhm des Königs, der Kurfürsten und eines den Rheinländern so fremd gebliebenen eisernen Kanzlers. Die nach dem Astronomen benannte Argelanderstraße zog ihre leicht gekrümmte Bahn von Nord nach Süd und lenkte die Gedanken auf Vernunft und Wissenschaft, denen Bonn zu einem guten Teil seinen Ruf als Universitätsstadt zu danken hat.
Ohne Studenten lief hier nichts. Wer von ihnen einsam oder zweisam war und über genügend Kleingeld verfügte – und das waren schon einige von den vierzigtausend –, den zog es aus der Bude in eines der zahlreichen Kinos, in die Pinten, in die Discos von Rock bis Jazz oder zu dem neuen bissigen Sound des klassischen Tangos.
In der Eröffnungswoche gastierte im »Old-Sound« das Tango-Sextett »Cabezas Minores« mit dem Bandonion-Virtuosen Menendez aus Barcelona. Coole Wehmutsfetzen im 4/8-Takt, die Klage des scharf gescheitelten pomadigen Sängers über verspieltes Glück, die Ferne der Heimat und ein verlorenes Weib – das traf den Nerv der Zeit.
Die Tanzenden boten noch kein geschlossenes Bild. Einige trugen Jeans oder Cord. Andere bemühten sich, in ihren dunklen Second-hand-Anzügen der Szenerie gerecht zu werden. Der Trend Schenkel an Schenkel und Leib an Leib hatte sich noch nicht voll durchgesetzt.
Marianne Richter, im geschlitzten anthrazitgrauen Rock, mit weitgeschnittener Alcantarabluse, rot paspeliert, versuchte, ihrem Partner die neuen Tanzschritte und Positionen beizubringen. Der Erfolg war gering, denn der Tango verlangte nicht nur den richtigen Rhythmus, sondern auch die Führung durch den Mann.
»Guido, du mußt zufassen, mich halten und biegen, dann wiegend schreiten wie im Traum. Sieh das Paar dort drüben – so!«
Guido Siemann wußte mit der Frau in seinem Arm auf dem Parkett nicht viel anzufangen. Zu anderen Zeiten und Gelegenheiten ging das besser. Er polterte los: »Wie kann man sich so lüstern darstellen! Du weißt doch, ich stehe auf Rock, richtigen harten Driver-Rock. Um diesen Zirkus hier zu ertragen, brauche ich Champagner, eine Magnum mindestens. Komm, wir gehen zur Bar. Schließlich wollen wir meine Rettung aus der Hand der Obrigkeit feiern – dann ziehen wir in Richtung Norden in die Altstadt in einen Beatschuppen und lassen die Wände wackeln.«
Guido stellte abrupt seine linkischen Bewegungen ein, drehte Marianne in Richtung Bar und steuerte mit ihr durch die Tanzenden, als gäbe es keinen new sound.
Auf dem Wege durch das Knäuel Menschen griff er sich seine Schwester Barbara, die mit einem schwarz-seidenen Jüngling auf Femme fatale machte. »Auf geht’s, Babs, dein Bruderherz läßt Sprudel fließen. Champagner darf nicht warm werden. Also komm!«
Barbara war es gewöhnt, ihrem Bruder zu folgen. Der Jüngling setzte an, den ungehobelten Störer in die Schranken zu weisen, unterließ es dann aber, als er sich des Mißverhältnisses zwischen seiner Figur und der des großen Bruders bewußt wurde. So blieb es bei einer Verbeugung.
»Bis dann.«
»Auf Nimmerwiedersehen«, ergänzte Guido und zog Arm in Arm mit seinen Mädchen zur Bar.
Sie nahmen an einem der kleinen Vierertische Platz, der zwischen zwei Blumensäulen stand.
»Veuve Cliquot bitte«, bestellte Guido mit der Geste eines Mannes von Welt. »Eine Magnum darf’s schon sein für diese Girls und mich. Die große Freiheit hat ihren Preis.«
»Magnum führen wir nicht«, erklärte der befrackte Kellner, als er den Eiskübel bereitstellte.
»Na ja, wir können uns ja auch bescheiden. Fangen wir also mit einer Normalflasche an.« Guido beobachtete das Zeremoniell des Flaschenöffnens und wartete auf den Knall des Pfropfens. Doch im »Old-Sound« ging es stilvoll zu. Es machte nur ganz leise »plop«.
»Auf die Freiheit!« Marianne hob das Glas und stieß mit Barbara und Guido an.
»Auf dieselbe und auf euch schöne Frauen«, erwiderte dieser galant, »und auf den Driver-Rock.«
Die drei sahen sich an und lachten.
Damit ja auch die Nachbarn die Kunde vernehmen konnten, hob Guido seine Stimme: »Nun höret die Geschichte vom barmherzigen Ritter der Landstraße: Ein verhaschter Miesling von Tramper wollte ihm alles Hab und Gut rauben. Als der Bursche mit der immensen Beute flüchtete, stürzte ein Höllenhund herbei
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