Feind in Sicht
Blockade, sonst nichts.
Jedesmal, wenn Bolitho an Bord der
Indomitable
gerufen wurde, stellte er fest, daß Pelham-Martin ein freigebiger Gastgeber war. Die Schaluppen, die nach Vigo segelten und zurückkamen, versorgten ihn dem Anschein nach reichlich mit erlesenen Weinen und stellten, Bolithos Ansicht nach noch wichtiger, eine gewisse Verbindung zur Außenwelt her.
Zum letztenmal besuchte Bolitho das Flaggschiff am Weihnachtstag. Seltsamerweise hatte sich das Wetter beruhigt; es wehte ein mäßiger Nordwest, und an die Stelle der anlaufenden, brechenden Wellen war eine lange flache Dünung getreten. Das Oberdeck der
Hyperion
war dicht von Gestalten bedeckt, die auf das graue, wogende Wasser und die anderen Schiffe starrten, als sähen sie sie zum erstenmal. Das konnte durchaus so sein, denn während der vergangenen acht Wochen, seit sie zu Pelham-Martins Geschwader gestoßen waren, hatte das Wetter sich nie länger als für eine Stunde beruhigt.
Bolitho ärgerte sich darüber, daß er das Flaggschiff besuchen mußte. Unter den herrschenden Verhältnissen würde Weihnachten für seine Besatzung kärglich genug ausfallen, auch ohne daß er von Bord ging, scheinbar um die Freuden der reich gedeckten Tafel des Kommodore zu genießen. Die Vorräte an frischen Lebensmitteln waren auf der
Hyperion
schon lange aufgebraucht, und das Weihnachtsessen für die Mannschaft war ein befremdliches Gemisch aus warmem, mit Rum kräftig gewürzten Rinderhaschee und einem Brei von zweifelhaftem Geschmack, von dem Gilpin, der einarmige, bösartig aussehende Koch Bolitho versicherte, daß es »ihre Herzen in Flammen setzen« würde.
Bolitho wußte jedoch, daß es bei seinem Besuch auf dem Flaggschiff nicht nur um ein Festmahl ging. Beim ersten Tageslicht war eine Korvette aufgetaucht und hatte die leichte Brise genutzt, um über die langsamen Zweidecker wie ein Terrier über drei gemächliche Ochsen herzufallen. Es war keine von Pelham-Martins Schaluppen, sondern sie kam von dem Hauptgeschwader vor Lorient, und als Bolitho seinen Paraderock übergeworfen und sein Boot befohlen hatte, sah er die Gig der Korvette schon längsseit am Flaggschiff liegen.
Bei der Ankunft an Bord der
Indomitable
traf er Pelham-Martin in sehr gehobener Laune an. Winstanley dagegen erschien völlig ausdruckslos und Kapitän Fitzmaurice von der
Hermes
war unverhohlen bestürzt.
Die Nachrichten von Lorient waren beunruhigend. Vizeadmiral Cavendish hatte zwei Fregatten beauftragt, dicht unter der Küste zu patrouillieren und nachzuforschen, ob irgendwelche Anzeichen für Veränderungen oder Bewegungen bei den im Hafen ankernden Schiffen festzustellen waren. Es war eine Routineaufgabe und eine, die den beiden Kommandanten der Fregatten wohlvertraut war.
Doch als sie dicht an die Küste kamen, hatten die Ausgucks die überraschende Beobachtung gemeldet, daß, statt des gewohnten Anblicks, die französischen Linienschiffe die Rahen vierkant gebraßt hatten und allem Anschein nach weniger geworden waren.
Einige mußten also die Blockadekette durchbrochen haben und entkommen sein.
Der Kommandant der Korvette war nicht bereit gewesen, zu diesen Nachrichten viel hinzuzufügen, bis Pelham-Martin darauf bestand, er solle sich mit etwas Brandy stärken. Die Zunge des jungen Offiziers wurde dadurch gelockert, und er berichtete dem Kommodore, daß darüber hinaus die beiden Fregatten gerade noch dem Schicksal entgangen waren, von vier französischen Schiffen überwältigt zu werden, die anscheinend im Schutz von Belle Ile gelauert hatten und die beiden Aufklärer beinahe vor einer Leeküste gestellt hätten.
In Pelham-Martins Augen glänzten Tränen. Lachend sagte er: »Sehen Sie, Bolitho! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das passieren würde. Die Überraschungsvorstöße haben keinen Wert bei einer Blockade. Geduld und die Demonstration unserer Stärke ist alles, was wir brauchen.«
Bolitho fragte ruhig: »Hat die Korvette neue Befehle gebracht, Sir?«
Pelham-Martin lachte immer noch vor sich hin. Es schien, als hätte es ihm keine größere Freude machen können, wenn die Flotte einen großen Sieg errungen hätte. Statt dessen hatte sein alter Feind jedoch zugelassen, daß französische Schiffe unbemerkt die offene See erreichten.
Immer noch lachend sagte er: »Sir Manley Cavendish verlangt einen vollständigen Bericht über die französischen Kriegsschiffe in diesem Gebiet, ihre Einsatzbereitschaft und so weiter.« Er ließ das so trivial klingen, daß Bolitho
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