Feind
Kehle. »Passt auf, was Ihr sagt! Sonst mag
mich meine Milde reuen und ich besinne mich doch noch darauf, dass Euer Volk
kein Freund der Menschen ist!«
Der Fayé röchelte.
»Was ist hier geschehen?« Helion lockerte den Griff so weit, dass er
sprechen konnte.
Limoras hustete. »Wer weiß das schon so genau? Soweit ich es
beurteilen kann, haben sie Essenz geerntet, um ihren Zauber zu stärken.« Er
zeigte auf den Balkon des Palastes, der von hier aus gut zu sehen war. Noch
immer standen die unbewegten, aufrechten Gestalten darauf, umflattert von
vereinzelten Seelenspiegeln. Eine von ihnen war vermutlich Lisanne. Zu weit
entfernt, um ihre Augen zu sehen. Außer Reichweite für Modranels Zauber. Die
Osadroi standen so ruhig, dass sie das Eindringen von Helions Trupp und den Tod
eines Dutzends ihrer Gardisten wahrscheinlich noch nicht einmal zur Kenntnis
genommen hatten.
»Es ist ihnen völlig gleich, wenn jemand für sie stirbt«, murmelte
Helion.
»Das stimmt nicht«, widersprach Modranel. Ajina war bei Deria, aber
der Magier scheute wohl so sehr vor der nach ihrem Kind suchenden Mutter
zurück, dass er sogar die Gesellschaft des Mondschwerts vorzog. »Sie genießen
es. Die Hingabe im Augenblick des Todes setzt die Essenz frei. Ebenso, wie
Furcht oder Hass es tun würden. Es ist nicht so ergiebig wie in einem Ritual,
dafür ein kurzer, heftiger Stoß. Ich kenne Schattenherren, die zu ihren Ehren
Gladiatoren mit scharfen Schwertern gegeneinander antreten lassen. Der
Verlierer stirbt für den Osadro, der Sieger dankt ihm inbrünstig für sein
Leben.«
»Dann haben wir sie sogar noch gestärkt?« Matt gab Helion Limoras’
Hals frei.
Modranel lachte auf. »Habt Ihr vergessen, was hier gerade
geschieht?« Er machte eine einladende Geste zum Tal hin, wo die Schlacht tobte.
»Das ist, als würdet Ihr einen Span in einen Feuersturm werfen.«
Helion kniete nieder und drückte den Rubin seines Schwertes gegen
seine Stirn. »Mondmutter, gib mir Kraft!« War denn alles vergeblich? Von
überall her klangen die Schreie der Sterbenden. Wenn die Schattenherren all
diese Kraft aufnehmen konnten, gingen sie vermutlich stärker aus dieser
Schlacht hervor, als sie hineingegangen waren, trotz des mächtigen Rituals, das
sie gewoben hatten. Donnernd stürzte ein Turm der Befestigungsanlage ein.
Helion sah zu den beiden Frauen hinüber. Ihre Stille berührte ihn
mehr als der Lärm der Schlacht. Ajinas Arme lagen um Derias Schultern, die
stumm ein totes Mädchen auf den Knien wiegte. Helion spürte die Tränen auf
seinen eigenen Wangen und fragte sich, ob auch dieser Schmerz die Schatten
nährte. Immerhin rief das Grauen, das in ihrem Namen begangen worden war, seine
Gefühle hervor. Das ließ Wut in ihm aufsteigen, und bei dieser war er ganz
sicher, dass sie den Osadroi half, denn sie war direkt gegen sie gerichtet. Er
begriff, wie schwierig der Kampf gegen die Finsternis und was für ein schlechter
Schüler er seinem Meister gewesen war. Er hätte sich beherrschen müssen, seine
Gefühle unterdrücken, mit kalter Ratio dem Feind entgegenschreiten, wie es
einem Mondschwert anstand.
Aber jetzt war kein Augenblick der Sammlung. Er stand auf und ging
zu den Frauen.
»Hier können wir nicht bleiben«, sagte er, obwohl Ajina ihn
anklagend ansah.
»Rina«, flüsterte Deria in einem fort. Man konnte das Wort in den
Momenten zwischen dem Donnern der Katapulte verstehen. »Rina. Rina. Rina.« Sie
streichelte eine Strähne aus der Stirn des toten Kindes.
»Wenn du nicht willst, dass sie ein Fraß für die Ghoule wird, nimm
sie mit«, sagte Helion streng. »Wir müssen einen Ort finden, an dem wir uns
verbergen können. Dort kannst du sie begraben.«
Die Schattenherren waren zufrieden mit Lióla. Anders ließ sich
nicht erklären, dass sie ihr diese Aufgabe übertrugen. Voller Stolz schritt sie
durch die Hallen von Guardaja. Nur vereinzelt wurde noch gekämpft, warfen die
Steinblöcke das Klirren von Waffen und die Schreie von Sterbenden zurück. Auf
dem Feld war inzwischen alles entschieden. Das Tal nördlich Guardajas war
gesichert, und nichts würde nun noch den Marsch der Ondrier nach Süden, zu den
Silberminen, aufhalten. In diese Richtung flüchteten auch die Reste des
feindlichen Heeres. Dort lagen keine Festungsanlagen mehr, in denen sie sich
hätten verschanzen können. Lióla verstand nicht viel von Militärtaktik, aber
sie wusste, dass man dem Feind immer einen Ausweg ließ. Tat man das nicht,
weckte man den Mut der
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