Feind
hört, hast du
unter deinesgleichen so einiges erreicht mit dem Wissen, das ich dir
anvertraute.«
Estrog fehlte die Geduld für geziertes Geschwafel. Mit einem tiefen
Grollen, das seine ganze Verachtung zum Ausdruck brachte, führte er die Axt in
weitem Bogen. Sie traf den Schattenherrn, der auf dem Weg zu Modranel alle
Vorsicht außer Acht gelassen hatte, in die Brust. Seine Rüstung barst mit einem
Knall. Die bleiche Gestalt wurde in hohem Bogen davongeschleudert, krachte
gegen die Wand und fiel auf den Marmor.
Niemand rührte sich. Der Schrecken auf den Gesichtern der Gardisten
war unübersehbar.
»Na, wo ist die Macht der Schatten jetzt?«, brüllte Estrog.
Triumphierend trat er einen Schritt vor. »Die Selbstüberschätzung ist die
größte Schwäche der …«
Die Lichter flackerten wie in einem Windstoß.
Helion griff nach dem Tongefäß mit dem Silberstaub.
Der Saal wurde heller und dunkler, als folge er dem Rhythmus von
Atemzügen. Die Gardisten neigten die Häupter, aber nicht Trauer veranlasste sie
dazu, erkannte Helion, sondern Andacht.
Baron Gadiors Lachen drang leise bis zu ihnen. »Das hat wehgetan«,
hauchte seine Stimme. »Aber ich mag dich, Barbar.«
In der Stille des Raumes hörte Helion, wie sich Gadiors Rüstung
bewegte. Erst als der Schattenherr die Treppenstufen hinaufstieg, war er wieder
hinter seinen Gardisten zu erkennen. Ein gewaltiger Riss klaffte in seiner
Rüstung. Er drehte sich nicht zu ihnen um, setzte seine Schritte in
gleichbleibendem Tempo. »Schluss mit den Kindereien. Gebt ihnen einen raschen
Tod«, sagte er über die Schulter.
Helion schleuderte sein Wurfgeschoss. Es zerbarst auf dem Marmor und
setzte eine silberglänzende Wolke frei. Leider etwas zu weit vom Ziel entfernt,
um die lähmende Wirkung zu entfalten. Der Osadro hob die Hände abwehrend vor
das Gesicht und wich zurück.
Helion wollte vordringen, aber Ajina hielt ihn fest. »Es sind zu
viele!«, rief sie.
Wütend riss er sich los. Er würde nicht aufgeben. Niemals!
Die Gardisten schlossen ihre Reihen. Es waren wenigstens drei
Dutzend. Zuvorderst standen die Hellebardiere.
Helion hatte gelernt, wie man gegen Stangenwaffen bestand. Für einen
Reiter war ein Lanzenwall unüberwindlich, aber wenn man zu Fuß kämpfte, war man
mit Schild und Schwert im Vorteil. Er schmetterte einen auf seine Brust
gezielten Stoß zur Seite und machte zwei schnelle Schritte vor. Damit war er zu
nah an seinem Gegner, als dass dieser seine Waffe effektiv hätte handhaben
können. Zudem brauchte er zwei Hände für die Hellebarde. Helion sorgte dafür,
dass er von nun an nur noch eine Hand hatte. Das Blut spritzte aus dem Stumpf.
Helion wirbelte herum und ließ den Schild gegen die Wehr des
nächsten Gardisten prallen. Beide Männer gerieten ins Taumeln. Er spürte, wie
Hiebe seine Rüstung trafen, aber der Schutz der Mondmutter hielt auch dann
noch, als ihn ein Wuchtschlag vor Derias Füße schleuderte.
Die Frau hatte den Bogen gegen ihr leichtes Schwert getauscht. Jetzt
half sie ihm auf die Beine. »Wollt Ihr noch immer den Sieg«, rief sie, »oder
sucht Ihr jetzt doch den Tod, Paladin?«
»Ich kann Euch helfen, dieses Geschmeiß zu zertreten«, raunte
Modranel neben seinem Ohr, durch den Helm gerade noch zu verstehen, »doch dann
werde ich kein Gegner mehr für Lisanne sein.«
Helion suchte Baron Gadior, aber der Osadro war nicht mehr zu sehen.
Holte er weitere Verstärkung? Noch einen Unsterblichen? Die Schattenherzogin
selbst? Wenn Lisanne käme, könnte Modranel dann seinen Zauber auf sie werfen?
Trotz der Gardisten, die nicht weniger wurden?
»Wir müssen uns zurückziehen!«, rief Deria.
»Sie hat recht!«, brüllte Estrog. »So, wie wir gekommen sind!«
Helion begann die Litanei der Sammlung, um seine Gefühle
zurückzudrängen, aber die Zeit reichte nicht dafür. Ein Wurfspieß donnerte
gegen seine Schulter und sprengte einen Teil des Schutzes ab.
Wenn er Lisanne besiegen wollte, musste er zuerst seinen Stolz
überwinden. Er zwang sich, den Schild zu heben und einen Schritt rückwärts zu
machen. Deria, Ajina und Modranel verstanden das Signal und liefen los.
»Estrog!«, rief Helion.
Mit weiten Axtschlägen verschaffte sich der Barbar Raum, sodass er
sich von den Gegnern lösen konnte. Helion sah, dass er aus vielen Wunden
blutete, sogar am Kopf, auch wenn das seine Kraft nicht zu mindern schien.
Einer der Gardisten schleuderte einen Speer. Helion warf sich nach
links und riss den Schild hoch. Der Speer
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