Feind
hätte beeindrucken können.
»Brünetta!«, rief sie.
Gehorsam schlurfte der Ghoul heran.
»Reiß ihm den Kopf ab.«
Brünettas Ungeschicklichkeit wirkte sich in diesem Fall günstig aus.
Statt eine saubere Enthauptung durchzuführen, zerquetschten ihre Pranken den
Schädel zu einem unansehnlichen Brei. Lióla ging ihr nach vollbrachter Tat aus
dem Weg, um sich nicht zu besudeln.
»Ihr!« Sie deutete auf den Nächsten. »Tretet vor!«
In diesem Moment kam Unruhe in die Gardisten. Sie zeigten hinab ins
Tal, wo die Spalier stehenden Krieger Haltung annahmen. In der Dunkelheit
konnte Lióla nicht weit genug sehen, aber sie trat dennoch an die Zinnen. Die
Osadroi mussten sich in Bewegung gesetzt haben. Sie schloss die Augen und
versuchte, das Charisma der nahenden Schattenherzogin zu erspüren. Eigentlich
hätte es auch dafür zu weit sein müssen, aber war dies nicht eine ganz
besondere Nacht? Lisanne hatte diesem Ort schon den Anblick eines dunklen Wunders
geschenkt, von dem man noch in Generationen spräche. Menschlichen Generationen, natürlich. War es da unmöglich, dass sich die Magie, die sie über
das Tal gelegt hatte, in einer Verstärkung ihrer Aura äußerte? Vielleicht war
es nur Liólas Einbildungskraft, aber sie spürte ein andächtiges Schaudern auf
ihrem Rücken. Niemals war sie so sehr ein Teil der Welt der Schatten gewesen,
hatte so viel von der Unendlichkeit der Finsternis erspüren können wie in
dieser Nacht. Baron Gadior war sie oft begegnet, ab und an auch einem anderen
Schattenherrn. Aber so viele auf einmal? In dem Palast hatte sie heute die Nähe
von sechs Unsterblichen erleben dürfen – eine Gnade, für die viele zu sterben
und noch mehr zu morden bereit gewesen wären. Ein solches Erlebnis überstieg,
was man für ein Menschenleben erhoffen durfte, selbst wenn man höher in der
Hierarchie des Kults stand, als das bei Lióla der Fall war. Sie war sich
gewiss, dass diese eine Nacht ihr Leben verändern würde. Sie wusste noch nicht,
auf welche Weise, der Pfad vor ihr lag im doppelten Sinne im Dunkel, aber das
machte es nur noch aufregender.
»Ich werde Euer Banner niemals küssen«, raunte Prinz Varrior neben
ihr und ließ damit jedes Empfinden für die Erhabenheit des Augenblicks
vermissen.
Lióla unterdrückte ein Seufzen. Wenigstens war der Mann mit der
Speerwunde im Bauch inzwischen verstummt.
»Das braucht Ihr auch nicht. Ihr würdet Euch ohnehin nicht lange
daran erinnern.«
»Wollt Ihr mich etwa hinrichten lassen?«
»Besser. Viel besser.« Lächelnd drehte sie sich zu Brünetta um, die
ihr teilnahmslos entgegenstarrte. »Seht in die Augen des Ghouls und blickt in
den Spiegel Eurer Zukunft, Prinz.«
Die Gebete, mit denen Helion seine Gefühle hinter einen
undurchlässigen Wall verbannt hatte, trugen Früchte. Er fühlte weder
Befriedigung noch Mitleid, als er zusah, wie Limoras den Ondrier bei lebendigem
Leibe aufschnitt. Der Mann schrie gegen den Knebel in seinem Mund an, als wolle
er alle Dämonen und Götter zu Hilfe rufen. Der dreckige Stoff dämpfte seine
Mühen zu einem Röcheln.
Der Mann hatte sich Hoffnung gemacht, als sie ihn unter einem
Gebüsch mit einem Armbrustbolzen im Bauch und verlassen von seinen Kameraden
gefunden hatten. Er hatte wohl gedacht, dass die Milirier gnädiger mit ihren
Gefangenen verfuhren, als seine Herren es taten. Vor allem, nachdem Helion sein
Schwert weggesteckt hatte. Dass der Fayé ihm die Hand in den Bauch rammen und
seine Innereien herausreißen würde, um mit seinen Schmerzen einen minderen
Dämon zu beschwören, hatte er sich wohl nicht ausgemalt.
Helion wandte sich ab, um die Umgebung zu beobachten. Sie hockten
vor dem Schlupf, aus dem die Späher Guardaja verließen. Von außen ließ sich die
niedrige Tür nicht öffnen. Nicht ohne Magie. Und da sie Modranels Kraft für
Lisanne brauchten, musste der Fayé seine Kunst beweisen. Sein Volk manipulierte
die magischen Ströme nicht direkt, sondern nur über Wesenheiten aus dem
Nebelland. Dazu passte auch, dass der mondsilberne Baum auf Helions Schild nur
schwach rot schimmerte, beinahe rosafarben, als würde sich das Blut träge unter
dem Silber regen, wie in einem Albtraum, der jedoch nicht stark genug war,
damit er den Schläfer schreiend erwachen ließ. Dennoch blieb die grundsätzliche
Wahrheit bestehen, wer die Gesetze änderte, die die Götter der Welt gegeben hatten,
der zahlte mit Lebenskraft dafür. Mit seiner eigenen oder mit fremder.
Deria war sichtlich nervös. Sie
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