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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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hatte einen neuen Bogen gefunden,
der aber stärker war, als es ihrer Gewohnheit entsprach. Ständig zog sie die
Sehne aus, um sich damit vertraut zu machen. Der Pfeil würde mit mehr Wucht und
weiter fliegen, aber wenn sie zitterte, würde er kaum im Ziel sitzen. Trotzdem
war ihre Übung unsinnig. Erschöpfte Muskeln hielten einen Bogen nicht gerade
ruhiger. »Werden sie die Magie wirklich nicht bemerken?«, flüsterte sie jetzt.
»Die Schattenherren, meine ich?«
    Modranel würdigte sie keiner Antwort. Auf dem Weg hierher hatte er
kaum drei Worte gesprochen. Ob er den ganzen Tag über so schweigsam gewesen
war, konnte Helion nicht beurteilen. Er war vollauf mit der Litanei beschäftigt
gewesen, die seine Gefühle auf ein Minimum dämpfte. Die Scham wegen der
gescheiterten Mission. Die Trauer über Estrogs Tod. Die Verzweiflung über die
Macht der Schatten. Selbst den brennenden Hass auf den Feind. Diese Litanei
hatte ihren Preis. Sie war wie ein Damm, der einen Fluss aufstaute. Das Wasser
war noch da, und wenn der Damm erst bräche, würde es mit aller Gewalt seine
Bahn erzwingen. Doch jetzt fühlte Helion kaum noch etwas, und darauf kam es an.
Er tat, was nötig war. Wenn man einen Gefangenen in den Tod foltern musste, um
zu Lisanne durchzudringen, dann tat er auch das. Nur ganz tief in ihm gab es
etwas, das froh darüber war, dass Limoras das Ritual ausführte, nicht er
selbst. Es blieb ein Unterschied, ob man für etwas verantwortlich war oder ob
man es mit eigenen Händen tat.
    Ajina schüttelte den Kopf, um Derias Frage zu beantworten. Selbst
sie hatte sich ein Schwert genommen. Es sah falsch an ihr aus und mit dem
verbundenen linken Arm, den sie kaum bewegen konnte, war ihre Kampfkraft noch
weiter gemindert. Wahrscheinlich würde sie eher sich selbst als einen geübten
Gegner verletzen, aber der Stahl schien ihr Halt zu geben. »Dieser Ort ist so
mit Magie getränkt, dass eine einfache Beschwörung nicht auffälliger sein wird
als ein Blitz in der Sonne. Nach so viel gewaltsamem Tod wird die Verbindung in
das Nebelland noch viele Jahre sehr durchlässig sein.«
    Der Schlupf war gut getarnt. Trotz der Öllampe, die Limoras für das
Ritual brauchte, bestand kaum Gefahr, dass man sie zufällig entdeckte. Nur der
Weg hierher war mühselig gewesen, dreimal waren sie den Patrouillen, die das
Schlachtfeld von Überlebenden säuberten, nur knapp entkommen. Die Krähen waren
überall. Es würde Helion nicht wundern, wenn sie bald zu schwer wären, um über
die Berge zu fliegen. Aber warum hätten sie auch abziehen sollen? Der Tisch
würde auch morgen noch reich gedeckt sein.
    Durchdringendes Geheul ließ Ajina und Deria zusammenzucken. Modranel
war solcherlei wohl gewohnt und Helion konnte in seinem jetzigen Zustand kaum
etwas beunruhigen. Er wandte sich zu dem Geräusch um.
    Der Gefangene war noch immer nicht tot, was absurd war angesichts
der Tatsache, dass sich viele seiner Organe bereits außerhalb des Körpers
befanden, ausgelegt in einer Weise, die Helion ein magisches Muster vermuten
ließ. Vielleicht verwehrte ihm dies auch die Flucht in das Nebelland. Es war
seltsam, Limoras zuzusehen. Die beiden Ellbogen an jedem Arm ermöglichten
Bewegungen, die gänzlich falsch aussahen. Helion verstand nicht wirklich, warum
der Fayé ihnen half. Vielleicht traf zu, dass eine gewisse Dankbarkeit
gegenüber seinen Rettern ihm eine Pflicht auferlegte, wie er behauptete.
Vielleicht wollte er sich auch einfach nur an den Osadroi rächen. Oder es
erschien seinem verdrehten Verstand als großer Spaß, am Kampf gegen eine
unbesiegbare Schattenherzogin mitzuwirken.
    Limoras sagte kein Wort, und dem Gefolterten gelang wegen des
Knebels nicht mehr als ein irres Röcheln. Das Geheul kam von einer Wesenheit,
die sich aus dem Boden grub. Sie glich einer Made, so lang und so dick wie ein
Unterarm. Ihr Körper hatte Ähnlichkeit mit den Augen des Fayé. Er war nicht
scharf zu erfassen, man konnte nicht sehen, wo die Haut endete, die zudem
ständig in Bewegung war, wie Rauch in einem durchsichtigen Gefäß.
    Vorsichtig, als wolle er eine Katze streicheln, nahm Limoras die
Kreatur auf. Seine sechsfingrigen Hände betteten sie in die offene Bauchhöhle
des Opfers. Alles schien so zu verlaufen, wie er es geplant hatte.
    Helion wandte sich ab und beobachtete weiter die Umgebung. Deria
kämpfte mit einem Würgereiz, musste den Bogen ablegen, sich mit beiden Händen
abstützen. Sie zitterte immer heftiger, hustete, war kurz davor, sich

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