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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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rief er. »So viele Jahrhunderte und
kein Zauber, der mich überwinden kann?«
    Der letzte Gardist brach zusammen, brachte der Macht seiner
Meisterin das höchste Opfer dar. Ajina spürte, dass Lisanne nun auch ihre
Lebenskraft einforderte. Auf der Brücke von Angst und Zweifel sah sie das
Glitzern ihrer Essenz zur Osadra entschwinden.
    »Denkt nicht an sie!«, rief sie ihren Gefährten zu. »Löst eure
Gedanken und Gefühle von Lisanne! Sie machen sie nur stärker!« Sie verkrampfte
die Hände über ihrem Herzen und versuchte, ihren eigenen Rat zu befolgen, indem
sie an die Mondmutter dachte, das milde Licht der drei Monde, den Tempel in
Akene, wo Nalaji vielleicht gerade jetzt Kerzen entzündete und für ihre
Freundin betete. Es gelang ihr nur unvollkommen. Mit jedem Herzschlag verließ
sie etwas von ihrer Lebenskraft, um die finstere Meisterin zu stärken. Immer
weiter flüchtete sich Ajina fort von hier, in ihre Erinnerungen. Sie dachte an
Helions Zärtlichkeit, an den Schmerz, den sie während der Reise empfunden
hatte, als er sie zurückgewiesen hatte, an die Vernehmung durch die Feldherren.
Nein! Das war kein kluger Gedanke! Er hatte zu viel mit den Plänen zu tun, die
sie gegen die Schattenherren gefasst hatten, dadurch auch zu viel mit Lisanne!
Sie wurde immer schwächer.
    »Ajina!«, rief Vater.
    Er braucht mich. Sie kroch zu ihm, fiel
zwischen zwei Steinbrocken, rappelte sich wieder auf, kroch weiter, während um
sie herum die mystischen Kräfte tobten, als hätten sich zwei Rudel tollwütiger
Hunde ineinander verbissen. Als sie Vater berührte, erschrak sie über die Kälte
seiner Haut. Er fühlte sich an wie ein Erfrierender.
    Aber auch Lisanne wankte, das war nicht zu übersehen. Ihre
Schattenarme waren matt, kraftlos. Ihre Augen konnten sich nicht von Vater
lösen. Diese Auseinandersetzung, unmittelbar nach dem gestrigen großen Ritual
geführt, zeigte Lisanne ihre Grenzen auf. Schattenherren waren sterblich, auch
wenn sie es gern vergaßen.
    Vater stand jetzt so unbewegt wie eine Statue. Ajina zog sich an ihm
hoch, stellte sich vor ihn, umarmte ihn, legte den Kopf an seine Brust, ließ
seine Kälte in sich dringen. »Bleib standhaft«, sagte sie. »Du bist stärker als
die Finsternis. Du hast den Weg zurück ins Licht gefunden. Ich glaube an dich.«
    Sie erhaschte eine Ahnung von dem, was er wahrnahm. Ein schwaches
Abbild nur, wie Kerzenschein hinter einem Vorhang, aber es reichte aus, um
ihren Verstand anzugreifen. Da wallte das Chaos, verlachte alles, was die
Götter gefügt hatten. Vorher und Nachher, Oben und Unten hatten dort keine
Bedeutung, woher Vater die Kräfte rief, die er Lisanne entgegenschleuderte.
Manche Wirbel trafen die Schattenherzogin nicht, weil er sie ihr entgegenschleuderte,
sondern sie setzten sich in Bewegung, weil schon vor dem Geschehen Tatsache
war, dass sie Lisanne träfen, nur der Weg war noch unklar. Vater versuchte
solche Pfade zu finden, die seine Lebenskraft schonten, aber das wurde immer
schwieriger, je schwächer er wurde. Sein Leben zerrann wie Sand in einer Uhr.
    Ajina besann sich auf das, was er sie gelehrt hatte. Sie verstärkte
ihre Umarmung, glich ihren Herzschlag dem seinen an. Sie rückte alle Zweifel
beiseite. »Du kannst sie töten«, flüsterte sie. »Ich weiß es.« Über die Brücke
ihres Vertrauens gab sie ihm von ihrer Lebenskraft.
    Ihr Vater erschrak, als er erkannte, was sie tat. »Nein!«, stammelte
er und versuchte, sie fortzuschieben, in seinem Geist und auch körperlich.
    Sie verstärkte die Umarmung. »Ich wusste, dass dieser Kampf auch von
mir einen Preis fordern würde. Und du wusstest es auch!«
    Lisannes nächster Angriff ließ ihn taumeln. Sein Geist drohte in die
Finsternis zu fallen. Instinktiv griff er zu.
    Ajina schrie. Noch nie hatte sie solche Gewalt gespürt. Es war, als
risse ihr Vater ihr das zuckende Herz aus der Brust.

    Das Unvorstellbare geschah. Lisanne stürzte zu Boden, als wäre
sie ein Baum, der von einem Blitz gefällt wurde.
    Helion nahm es kaum wahr. Er hatte nur Augen für Ajina, die leblos
zu Modranels Füßen zusammensackte. Ihr blondes Haar schimmerte grünlich in dem
blauen Licht, das hinter Lisanne aufschien.
    »Nein!«, schrie er und rannte vor, die Schmerzen in seinen Knochen
nicht achtend. Er hastete über die Steine, ließ seinen Schild fallen, um
schneller vorwärtszukommen. Der rot strahlende Wappenbaum darauf leuchtete den
Gang aus wie ein Lagerfeuer, die Klinge seines Mondsilberschwerts sah aus, als
sei

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