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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Trümmer rieselte. Es konnte
nicht mehr lange dauern. Der übernatürliche Zwang zur Verehrung war schon
verloschen. Lióla fühlte nur noch die Hingabe, die aus ihrem Inneren kam, nicht
mehr jene erdrückende Kraft, die von Lisanne ausgegangen war.
    »Komm her!«, rief sie Brünetta zu. Viel zu langsam stakste der Ghoul
heran.
    Entsetzt beobachtete Lióla, dass Lisanne atmete. Die Lungen der
Unsterblichen brauchten keine Luft. Sie atmeten nur, um Essenz aufzunehmen,
oder wenn sie sprachen. Lisanne tat weder das eine noch das andere, der dunkle
Schaum, zu dem die Lebenskraft des Ordensritters geworden war, war
aufgebraucht. Sie atmete, wie ein Mensch es getan hätte. Das konnte nur
bedeuten, dass sich ihr Körper an die Sterblichkeit erinnerte. Sie musste ihrem
Ende sehr nahe sein.
    Lióla sah zu Modranel hinüber. Ihr Vater hatte sich nicht bewegt,
stand noch immer bei dem Mondschwert und der blonden Frau, die neben ihm lagen.
Gut. Sie konnte sich jetzt nicht mit ihm befassen.
    »Heb sie auf!«, befahl sie Brünetta.
    Die Pranken des Ghouls wirkten monströs, als sie sich dem Körper der
Osadra näherten, die jetzt so zerbrechlich aussah.
    »Vorsichtig!«, kreischte Lióla und schlug auf Brünettas Buckel.
    Sie hielt den Atem an, als sich die langen Arme unter den perfekten
Körper schoben und ihn anhoben.
    Modranel regte sich noch immer nicht. Irgendwo hinter ihm wimmerte
eine Frau, die Lióla nicht erkennen konnte. Sie musste in diese Richtung, wenn
sie zu den ondrischen Kriegern wollte, aber in Lisannes jetzigem Zustand war
das riskant. Ein Stich mit einem Silberdolch, während sie an Modranel
vorübergingen, würde ihr den Rest geben. Und hinter ihm mochten noch weitere
Aufrührer lauern.
    Also musste sie Lisanne zunächst stärken. Sie erwog, ihre eigene
Lebenskraft dafür zu verwenden. Das wäre möglich gewesen, schließlich war sie
eine Dunkelruferin. Sie konnte eine Verbindung zu der Schattenherzogin schaffen
und ihre Essenz in den sterbenden Körper befehlen. Das könnte helfen, aber
würde es auch ausreichen? Wäre Lisanne danach stark genug, aus eigener Kraft
ihren Weg zu gehen? Wenn nicht, wäre sie hier allein mit Brünetta, die nichts
tat, was ihr nicht deutlich befohlen wurde. Lióla wäre nicht mehr da, um sie zu
beschützen. Welch merkwürdiger Gedanke, sie, Lióla, ein schwacher Mensch,
musste eine Schattenherzogin beschützen! Sie lachte irre.
    »Los!«, rief sie und dirigierte Brünetta in die Richtung, aus der
sie gekommen waren. Manchmal bremste sie den Ghoul, damit er nicht mit seiner
kostbaren Last stolperte. Sie nutzte die Zeit, eine Verbindung zu Lisanne
aufzubauen. Der Kampf der Zauberer hatte viel magische Kraft freigesetzt, und
nicht alles davon hatte sein Ziel gefunden. Deswegen war die Luft mit
zauberischer Energie übersättigt. Nie war es Lióla so leichtgefallen, das
Geflecht der Wirklichkeit zu zerreißen und ihrem Willen zu unterwerfen. Es
dauerte nicht länger als ein Zwinkern ihrer Augen, um Lisannes gewaltigen,
finsteren Geist zu erspüren. Das Gefühl kam so plötzlich, dass Lióla wankte wie
bei einem Erdbeben.
    Auf dieser Ebene war die Schattenherzogin noch immer erhaben,
titanisch, eine Halbgöttin, unfassbar in ihrer dunklen Pracht. Lióla musste
sich beherrschen, um nicht in tatenloser Verehrung zu verharren. Stattdessen
erkundete sie das Umfeld. Lisanne kämpfte weiterhin mit Modranel, die
Verbindung war deutlich zu sehen. Das magische Gitter erzitterte unter den
Schlägen, die sie austauschten. Trotzdem hatte Lióla den Eindruck, dass beide
zauderten. Sie schienen mehr Kraft auf ihre jeweilige Verteidigung aufzuwenden,
die Angriffe wirkten trotz ihrer Gewalt tastend. Sie suchten nach
Schwachstellen in der Deckung des anderen. Lisanne war noch defensiver als
Modranel. Sie sandte ihre finsteren Kräfte seltener aus, und selbst das
Bollwerk, das sie errichtet hatte, gestaltete sie ständig um. Sie glich einem
Turm, dessen Spitze sich in den Wolken verlor, dessen Steine aber brüchig
waren, sodass er einzustürzen drohte, wenn die Baumeister ihn nicht ständig
ausbesserten. Und sein Fundament ruhte in der stofflichen Welt, in diesem
schwachen Körper, der zu verfallen drohte, weil er sich an seine einstige
Sterblichkeit erinnerte.
    Es war verführerisch, den Ausläufern der Magie in Wirklichkeiten zu
folgen, die Lióla gänzlich unbekannt waren. Hier standen Tore offen, von denen
nichts in den Schriften der gefallenen Götter stand. Lióla bekam sich in die
Gewalt, wehrte

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