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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Schwierigkeiten,
Ordnung in das magische Gitter zu bringen«, meldete er zerknirscht.
    Nemerat schlug ihm ins Gesicht. »Was meinst du damit? Sprich! Ich
dulde kein Versagen!«
    Die Priester des Kults streuten überall auf dem Platz feuchte Asche
aus, um zauberkräftige Symbole zu schaffen. Sie waren noch nicht aufgeladen,
das würde erst während der Zeremonie geschehen, aber sie gehörten zu den
Vorbereitungen, um später das Fließen der dunklen Kraft zu fördern. Die meisten
Seelenbrecher konnten selbst keine Zauber wirken, aber sie waren darin
geschult, die magische Struktur eines Ortes zu spüren, die Kraftlinien, die ein
Gitter bildeten, in dem sie dann die Symbole positionierten, die Mächtigere
später mit Magie aufluden.
    Der junge Mann hier hielt den Kopf tief und zeigte auf einen großen
Baum, der auf der gegenüberliegenden Seite des Ritualplatzes stand. »Was ich
auch tue, von dort geht eine Unordnung aus.«
    Nemerat rollte mit den Augen. »Was denn für eine Unordnung? Ich kann
mich nicht um jede unbedeutende Kleinigkeit persönlich kümmern.«
    »Etwas, das meine Zeremonie stören könnte«, versetzte Lióla spitz,
»ist wohl schwerlich eine unbedeutende Kleinigkeit.«
    »Natürlich nicht.« Seine Schultern sanken merklich herab. »Das
wollte ich damit nicht gesagt haben.«
    Gemeinsam durchquerten sie die Senke. »Es ist, als wäre dort
Silber«, sagte der Seelenbrecher, um sofort anzufügen: »Ich weiß, dass das
nicht sein kann, aber ich wurde noch nicht würdig für höhere Weihen befunden,
die mir gestatten könnten, mit besserem Urteil …«
    »Silber!«, rief Nemerat. »Das ist lächerlich!«
    »Natürlich, ich versuchte nur mit meinen unvollkommenen Mitteln …«
    »Ganz ausgeschlossen!«
    »Natürlich.«
    »Hier gibt es kein Silber!«
    »Ich dachte nur …«
    »Offenbar bist du zu dumm zum Denken! Schweig und höre zu, dann
lernst du wenigstens.« Dann wandte er sich an Lióla. »Ich bin von Unfähigen
umgeben. Als ich noch Seelenbrecher war, konnte man mehr von uns erwarten.«
    Er hoffte wohl auf Zustimmung, aber Lióla war gefangen vom Anblick
des Baums. Wenigstens ein Dutzend gequälte Gesichter blickten ihr entgegen.
Natürlich kannte sie sich mit den magischen Sitten der Fayé aus, zumindest
oberflächlich. Im Gegensatz zu der Zauberei, die die Osadroi oder auch die
wenigen menschlichen Magier wirkten, zwangen die Fayé der Wirklichkeit ihren
Willen nicht unmittelbar auf. Im vergangenen Äon, vor der Verbannung durch die
Götter, hatten sie, so sagte man, die Natur mit Liedern betört, woraufhin sie
willig gegeben hatte, was sie von ihr erbeten hatten. Heute beschworen sie
Unkreaturen aus dem Nebelland oder anderen, noch geheimnisvolleren
Wirklichkeiten, und diese formten dann die Welt. Da die Sinne dieser
Wesenheiten nicht für die greifbare Welt gedacht und ihr Verstand von gänzlich
anderer Art war, wurde alles, was sie schufen, pervertiert, verdreht, sah
falsch aus. So auch der Baum. Aber die darin Eingeschlossenen besaßen dennoch
eine ganz eigene Schönheit. Die Ästhetik des Schmerzes, so hatte Lisanne es
genannt. Sie lebten noch, und sie würden noch lange leben. Sie bewegten sich
sogar in ihrer Pein, wenn auch so langsam, dass man eine Woche verstreichen
lassen musste, um eine Veränderung ihrer Position zu erkennen. Da ich eine Ewigkeit zur Verfügung habe, werde ich mich der Muße
solcher Betrachtungen widmen können.
    Lióla hatte andere Bäume gesehen, die auf diese Art verwendet
wurden, aber dieser hier war besonders. Nicht nur wegen seiner Größe, sondern
auch wegen der Art, wie er seine Gefangenen anordnete. Als hätte ein Künstler
sie arrangiert. Sie trat nah heran, betrachtete einige der Gesichter genau. Da
war eine Frau mit zusammengewachsenen Augenbrauen, etwa in Liólas Alter, die
Zeit nicht mitgezählt, die sie in ihrer jetzigen Lage verbracht hatte. Und ein
Mann mit einer Narbe auf der Wange. Sie alle waren auf ihre Art so vollkommen.
»Dies ist ein Baum mit mächtiger Magie«, sagte sie zufrieden.
    »Da hörst du es!« Nemerat schlug auf den Kopf des Seelenbrechers.
»Es ist die Magie der Fayé, die in diesem Baum steckt und das Gitter stört. Das
hättest du selbst erkennen müssen!«
    »Ja, Herr.«
    Lióla wunderte sich, dass diese Störung nur von dem Baum ausging,
nicht von dem Opferstein, in dem sie den Fokus des Ortes vermutete. Skeptisch
sah sie an dem Stamm hoch. Er war völlig verdreht, beinahe wie ein nasses Tuch,
das gewrungen wurde. Dieser

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