Feind
reckte sie das Kinn vor.
»Kester und ich haben jahrelang allein im Wald gelebt. Ich habe meinen Teil
dazu beigetragen, und ich lerne rasch.«
»Seht es ein«, sagte Modranel. »Die Liebe zu einem Kind ist eine der
größten Kräfte in der Welt.«
»Offenbar nicht bei jedem«, sagte Helion schneidend.
Modranel starrte ihn an. »Mit fällt nicht ein, mich vor Euch zu
rechtfertigen, Paladin. Ich tat, was ich tat. Aber wisst, dass mich Euer
erbärmlicher Widerstand gegen das Unausweichliche nicht kümmert. Im Gegensatz
zu Euch weiß ich, gegen was Ihr marschiert. Dort im Norden, im Eis der ewigen
Nacht, gibt es Geheimnisse, so alt, dass sie unüberwindlicher sind als jede
Rüstung und jede Festung. Es ist nicht die angebliche Autorität der
Menschenkönige, die mich dazu bringt, mich Schattenherzogin Lisanne
entgegenzustellen. Erst recht nicht das Geschwafel der Mondpriesterinnen oder
die eleganten Ausführungen Eures Ordensmarschalls. All das ist mir weniger wert
als die Tücher, die ich auf der Latrine verwende. Wenn ich im Sinne Eurer Sache handele, und das bedenkt wohl, dann einzig und allein
deswegen, weil es meine Tochter Ajina glücklich macht. Ihr Lächeln ist mir
kostbarer als alle Schätze der Welt. Und Ihr habt nun einmal das Glück, dass
ein weiches, naives Herz in ihrer Brust schlägt. Aber das heißt nicht, dass es
mir Vergnügen bereitet, den ganzen Tag allein in diesem Wagen zu sitzen und
durchgeschüttelt zu werden. Ich habe es genossen, mit Deria zu plaudern. Sie
ist dumm und ungebildet, aber sie weiß es und versucht nicht, etwas anderes
vorzutäuschen. Das ist erholsam.«
Bei einem anderen Mann hätte sich Helion über die freie Rede
gewundert, zumal Deria neben ihm saß, aber bei Modranels Arroganz passte sie
ins Bild.
»Und, ja, ich neige manchmal zur Schwatzhaftigkeit. Sie weiß, dass
ich Modranel bin, und vom mächtigsten Magier der Menschheit hat selbst sie
schon gehört. Was wollt Ihr jetzt tun, Paladin? Ihr ein Schwert durch das Herz
stoßen, um sie zum Schweigen zu bringen?« In seinen Augen lag etwas Lauerndes.
Helion atmete tief durch. Wenn er nicht sofort ging, würde er diesem
Mann ins Gesicht schlagen. »Nein«, knirschte er, packte Derias Arm und zog sie
mit sich hinaus.
Sie wagte nicht, ihn anzusprechen, bis er sie zu Pepp geschleppt
hatte, der gerade die Pferde sattelte. »Dies ist Deria«, sagte Helion. »Macht
euch miteinander bekannt und stell sie auch Karseus vor. Heute Abend wird sie
sich unseren Übungen anschließen. Es ist nicht mehr viel Zeit. Ich will sicher
sein, dass sie wenigstens weiß, wo das gefährliche Ende an einem Schwert ist.«
Damit wollte er sie stehen lassen, aber Pepp sah ungewöhnlich ernst aus.
»Die da haben diese Lektion schon gelernt, wette ich.«
Helion folgte seinem Blick. Dort zogen Bauern und Bürger vorbei, nur
wenige von ihnen bewaffnet. Ihre Kleidung war zerrissen, viele waren mit
durchgebluteten Verbänden versorgt. Wer Glück hatte, trug einen Arm in der
Schlinge. Bei den anderen waren die Gliedmaßen fest verschnürt, knapp oberhalb
der Stelle, an der ein Feldscher sie amputiert hatte. Habseligkeiten waren
offensichtlich in Eile auf Karren geworfen wurden. Wenn Tiere sie zogen, waren
sie in keinem besseren Zustand als ihre Besitzer. Am schlimmsten war der leere
Blick dieser Menschen. Sie waren geschlagen, nicht nur körperlich.
»Noch kannst du umkehren«, sagte Helion zu Deria.
»Und meine Tochter denen ausliefern, die das hier getan haben?
Niemals.«
Da trat Ajina zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter. »Die
Göttin lässt niemanden allein«, versicherte sie. Ihre blauen Augen suchten
Helion. Sie hatten kaum miteinander gesprochen, seit sie aus Pijelas
aufgebrochen waren. »Danke«, sagte sie jetzt.
»Ich weiß nicht, wofür Ihr mir dankt, Adepta. Wir werden noch
bereuen, Deria nicht zurückgeschickt zu haben.«
»Bei allem Respekt, Herr Paladin. Ihr versteht Euer Handwerk, das
habe ich im Tempel der Mondmutter gesehen. Ihr habt es bewiesen, als Ihr Baron
Ranomoff überwandet. Aber in die Zukunft sehen – das können noch nicht einmal
die Götter. Ich bin eine Heilerin, und ich weiß, dass das Leid dieser Mutter
daheim nicht zu lindern ist. Sie braucht ihre Hoffnung, und die führt sie, so
seltsam es auch ist, in das Land der Finsternis.«
GUARDAJA
S o also
sieht der Krieg aus, dachte Ajina. Sie versuchte, das feierliche
Schimmern von Rüstungen und Waffen, das sie aus Akene in Erinnerung hatte, mit
den Spuren in
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