Feind
die Furcht stand
überdeutlich in seinem Gesicht. Stirnrunzelnd wandte sie sich dem verletzten
Bein zu und reinigte es mit einem feuchten Lappen.
»Was ist so schlimm an der Nacht? Wir sind doch weit von der Front
entfernt.«
»Nicht weit genug für alle, die der Finsternis dienen«, flüsterte
er.
»Dann gibt es hier Kämpfe?«
Er antwortete nicht.
Kerraras Bein wies keine nennenswerten Schnitte auf, die Wunden
würden nach einem Gebet verheilen. Sie verteilte die Salbe auf der Schwellung.
»Wovor habt ihr dann Angst?«, fragte sie, als sie fertig war, und
rechnete mit einer entschlossenen Beteuerung, dass einem Milirier niemals der
Mut sank.
Sie blieb aus. »Seelenspiegel«, sagte er tonlos.
»Sind das keine Märchengestalten?«, rief sie erstaunt.
Stumm schüttelte er den Kopf.
Sie sah den Ritter an, der schon lange nichts mehr gesagt hatte.
»Glaubt Ihr an Frauen von so schrecklicher Schönheit, dass ihr Anblick Euer
Herz erstarren lässt?«, fragte sie.
Aber Kerrara hörte sie nicht. Seine glasigen Augen waren unverwandt
gegen die Decke gerichtet.
Probehalber drückte sie sein Bein. Er reagierte nicht.
Alarmiert sprang Ajina auf. Sie untersuchte das Gesicht. Er atmete,
aber das war sein einziges Lebenszeichen, bis sie in seine Augen pustete, die
sich daraufhin schlossen. Sie klatschte neben seinem Ohr in die Hände, aber er
reagierte nicht stärker darauf, als eine Statue es getan hätte. Erst beim
dritten Versuch fand sie den Puls an seinem Hals.
»Was ist los?«, fragte der Knappe.
Ajina schluckte und trat einen Schritt zurück. Offenbar hatte der
Ritter noch eine weitere Verletzung, die sie nicht erkannt hatte. »Er muss aus
seiner Rüstung heraus!«, entschied sie. »Schnell! So schnell du kannst!«
»Wo soll ich beginnen?« Die Sägezähne waren dunkel von dem
trocknenden Blut.
Die schwerste Verwundung war am rechten Bein zu vermuten, aber es
war ebenso möglich, dass unter dem verbeulten Brustpanzer eine Rippe
abgebrochen war, deren Spitze den Ritter innerlich zerriss, sodass er
verblutete. »Wie lange brauchst du für den Harnisch?«, fragte sie.
Er wirkte ratlos. Kein Wunder, er sägte das erste Mal eine Rüstung
auf.
»Öffne den Brustpanzer!«, entschied sie. »Beeile dich!«
Wenn Kerrara wach gewesen wäre, hätte sie ihn überreden können,
seinen Stolz zu vergessen und ihr zu sagen, wo er Schmerzen litt. Aber sie
beherrschte keines der Gebete, die einen Ohnmächtigen weckten. Also tat sie das
Nächstbeste, was ihr einfiel, stellte sich so, dass sie dem Knappen nicht im
Weg war, breitete die flachen Hände über dem Verwundeten aus und sprach die
Litanei der Langsamkeit. Das würde den Blutfluss verzögern. Wenn irgendwo Blut
austrat, würde sie der Säge Zeit verschaffen. Die Konzentration fiel ihr schwer.
Sie fragte sich, ob es nicht besser wäre, nach unten zu laufen und eine
erfahrene Priesterin zu finden, eine, die ihren Geist in einen kranken Körper
wandern lassen konnte, um ihn von innen heraus zu heilen. Aber das würde Zeit
kosten, und das war eine Währung, in der sie nicht zahlen konnte.
Gerade als ihr der Gedanke kam, an das Fenster zu treten und nach
Hilfe zu rufen, hielt der Knappe inne.
»Was ist?« Ajinas Stimme überschlug sich.
Er stand unbewegt, die Säge in der Hand. Die Scharniere an der linken
Seite waren abgetrennt, das linke Schulterstück geöffnet, er war an der rechten
Flanke. »Ich bin dem Tod oft begegnet in den letzten Tagen«, sagte er.
»Inzwischen spüre ich ihn kommen. Ritter Lucino wird niemals nach Kerrara
zurückkehren.«
Widerwillig berührte Ajina das Gesicht auf dem Lager. Sie spürte
sofort, dass der Knappe recht hatte. Das Herz brachte keine Wärme mehr in die
Wangen. Der Körper begann bereits, sich zu versteifen. Ajina spürte Tränen
aufsteigen, die eher der Wut entsprangen als der Trauer. So
fühlt es sich also an, wenn man einen Kampf verliert.
Sie wollte die Leiche nicht ansehen. Sie wandte sich ab und ging zum
Fenster. Sie suchte die Kinder, konnte sie aber nicht finden. »Wo sind die
Flinken Gnome?«
»Sie werden ein Feuer gefunden haben, an dem sie nicht fortgejagt
werden.«
»Warum sollte man sie fortjagen?«
»Sie sind Waisen.«
Ajina wischte die Tränen aus ihren Augen und starrte den Knappen an.
Er war jünger als sie selbst, aber seine Züge waren viel älter. »Niemand sorgt
für sie?«
»Hier hat keiner etwas zu verschenken.«
»Aber ihr könnt sie doch nicht verhungern lassen.«
»Sie bekommen von den Resten.
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