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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Verbindung zu bringen, die sie an dem Verwundeten sah. Es fiel
ihr schwer, obwohl sie alles wiedererkannte: Die Teile, die Arme und Rumpf
eines Ritters schützten, waren einfacher gefertigt als bei den Mondschwertern,
aber da sie dem gleichen Zweck dienten, war ihre Form ähnlich. Das Schwert des
Mannes auf dem Krankenlager war verspielter geformt als dasjenige von Helion,
die Parierstange lief in Schnörkeln aus, die Scheide war mit gehämmertem
Edelmetall besetzt, das Blumen nachbildete. Es war die Waffe eines milirischen
Ritters, nichts daran war so ungewöhnlich, dass es Ajinas Unwohlsein erklärt
hätte.
    »Ihr seid keinen Stahl gewöhnt, was?«, fragte der Verwundete sanft.
Mit dem linken Arm, der einzigen unversehrten Gliedmaße, nahm er das Schwert
und hob es auf die andere Seite seines Lagers. Was war es nur, das die Ritter
ihre Waffen wie Geliebte behandeln ließ, von denen sie niemals lassen wollten?
Selbst dann nicht, wenn so offensichtlich war, dass sie keinen Gebrauch von
ihnen machen konnten? Die Rüstung des Mannes war am rechten Arm aufgerissen.
Eine merkwürdige Vorstellung, dass Metall nachgab wie Pergament, aber die
gezackte, nach innen gedrückte Form sah genauso aus wie ein gerissenes Blatt.
Dabei war Ajina sicher, sich mit ihrem vollen Gewicht auf die Rüstung stellen
zu können, ohne auch nur eine Delle zu verursachen.
    »Es war ein wuchtiger Hieb, der diese Wunde schlug«, erklärte der
Ritter, der ihrem Blick gefolgt war. Er klang, als sei er stolz darauf, einem
starken Feind gegenübergestanden zu haben. »Eine Axt. Der sie schwang, kann
niemanden mehr bedrohen.« Er grinste wölfisch.
    »Wie ist Euer Name?«
    »Lucino von Kerrara«, verkündete er, als stünde ein Herold mit einer
Posaune neben ihm. »Stets zu Euren Diensten.«
    Ajina lächelte. »Man rief mich, weil Ihr es seid, der meiner Dienste
bedarf.« Sein Knappe hatte sie zwischen den notdürftigen Lagern der Armen
aufgestöbert und mit beinahe unverschämtem Nachdruck in den Tempel gebracht,
der wie alle Häuser zu einem Lazarett geworden war. Ajina hätte sich darüber
wundern können, dass sich der Verletzte bis in das oberste Geschoss des engen
Turms hatte tragen lassen, wenn sie nicht selbst den Stoff ihrer Toga vor Mund
und Nase hätte pressen müssen, als sie den kaum zu ertragenden Gestank in den dicht
gefüllten Räumen durchquert hatte. Hier oben war es zwar kalt wegen der
unbedeckten Fensteröffnungen, aber wenigstens wehte der Wind die Fäulnis
hinaus.
    Die Wunde am Arm war harmlos, wenn man sie mit denen an den Beinen
verglich. Am linken war die Rüstung tief eingedrückt, sodass sich das Blut
stauen musste. Oberhalb des rechten Knies war sie so stark zusammengepresst,
dass Ajina die Breite mit Daumen und Zeigefinger einer Hand abmessen konnte. Es
wäre verwegen gewesen, zu hoffen, dass der Knochen unversehrt geblieben wäre.
    »Wir müssen Euch aus Eurem Panzer schneiden, Lucino von Kerrara.«
    »Ich werde einfach Euer Gesicht betrachten, Adepta. Das wird mich
alle Schmerzen vergessen lassen.«
    Sie sah den Knappen an, der mit der Metallsäge bereitstand. Wie alle
Kämpfer in diesem Lager war er verwundet, er trug einen Verband um den Kopf,
der auch ein Auge verdeckte. Sie waren einen knappen Tagesmarsch von der
Festung Guardaja entfernt, die das Tal mit den Silberminen schützte. Um das
Lager herum erhoben sich Hügel, in denen die leeren Stollen klafften, aus denen
man alles Edelmetall geraubt hatte. Hier sammelten sich jene, die zu schwer
verwundet waren, um bei der Verteidigung von Nutzen zu sein, aber noch zu weit
vom Tod entfernt, um zu den Friedhöfen ihrer Dörfer geschickt zu werden. In den
gemurmelten Gesprächen hörte Ajina immerfort einen Wunsch – zurück zur Front zu
kommen und den Kameraden beizustehen. Guardaja durfte nicht fallen, um keinen
Preis. Aber diese Bekenntnisse klangen hohl, wenn man die Angst in den Augen
der Menschen sah.
    Sie schüttelte den Kopf. Sie musste sich auf ihre Aufgabe
konzentrieren. »Wir befreien zuerst das linke Bein.« Das rechte war verloren,
der Arm konnte warten. Beim linken Bein konnte jede Verzögerung den Unterschied
machen zwischen einem Ritter, der mit einem Holzbein und einer Krücke durch
seine Burg humpelte und einem, der sich auf einem Brett mit Rollen
vorwärtsschieben musste, den Kopf auf Höhe der Bäuche der anderen Bewohner
seines Domizils. Reiten würde er nie wieder.
    »Wollt Ihr ein Gebet sprechen?«
    »Fang an zu sägen«, befahl sie. »Ich weiß, was

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