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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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ich tue.«
    Es war nicht einfach. Der Knappe lehnte sein Gewicht auf die linke
Hand, mit der er die Oberschenkelpanzerung fixierte, und führte die Säge mit
der rechten. Er musste viel Kraft aufwenden, um das Eisen zu durchdringen,
durfte aber nicht zu tief kommen, um das Fleisch darunter zu schonen. Ersteres
erforderte Mühe, Letzteres gelang nicht immer. Die Sägezähne schimmerten bald
in verräterischem Rot, auch wenn Kerrara die Zähne zusammenbiss und sich sogar
zu einem Lächeln zwang.
    Ajina betete still. Sie hoffte, dass die Mondmutter sie hörte,
obwohl sie die Welt heute kaum beachtete. Alle drei Monde waren unscheinbar,
einer würde schon vor der Sonne untergehen, sodass nur zwei Sicheln am
Nachthimmel stehen würden. Es hatte keinen Sinn, darauf zu warten. Sie konnte
ebenso gut in der Dämmerung mit der Behandlung beginnen.
    Der Knappe bearbeitete nun die Innenseite. Da sich die Scharniere
hoffnungslos verzogen hatten, musste er eine Öffnung aussägen.
    Ajina sah aus dem Turmfenster. Der Ort bestand aus zwei Dutzend
bewohnbarer Häuser. Dazu kamen Ruinen, die von besseren Tagen kündeten, als die
heute hohlen Löcher noch ergiebige Stollen gewesen waren. Zwischen dem
Mauerwerk, manchmal daran gelehnt, standen Zelte. Einige herrschaftlich, in
prächtigen Farben, die eine Fläche von einem Dutzend Rechtschritt umspannten.
Häufiger waren niedrige Konstruktionen, in denen man sich kaum aufsetzen
konnte, oder abgespannte Planen.
    Im Südosten stand das Lager des Trosses, mit dem sie gekommen war.
Der Heerzug lagerte zwei Wegstunden weiter nördlich gen Guardaja. Vielleicht,
weil der Bach kaum genug Wasser für die Menschen führte, die schon hier waren,
vielleicht auch aus taktischen Gründen. Ajina verstand davon noch weniger als
von den magischen Künsten, in denen ihr Vater sie ein wenig unterwiesen hatte.
Inzwischen lehnte sie die zerstörerische Macht der Zauberei ab. Sie hatte
Frieden in der heilenden Kraft der Mondmutter gefunden.
    Sie lächelte Kerrara an. Er würde nie wieder so gesund sein wie vor
seinem Kampf, aber er würde überleben. Das ließ sich nicht für alle mit
Sicherheit sagen, die heute von den Mondpriesterinnen behandelt wurden.
Gemessen an vielen anderen hatte Kerrara Glück gehabt. Auf einem der Hügel
wurden Leichen auf Holzstöße gelegt. Man konnte nicht riskieren, dass ihr
faulendes Fleisch Seuchen ins Lager lockte, wollte aber wohl auch die noch
Lebenden von dem süßlichen Qualm verschonen, der bald von den Scheiterhaufen
aufsteigen würde. Auf den Hängen lagen die Verletzten unter Planen, manche auch
unter den spärlichen Zweigen der letzten Bäume, die noch nicht für die
Lagerfeuer hatten herhalten müssen.
    Die meisten Verwundeten waren niederer Herkunft. Im Licht der
aufflammenden Lampen sah sie mehr Krüppel als solche, denen alle Glieder
geblieben waren. Wer nicht wohlhabend war, konnte sich keinen Eisenpanzer
leisten. Ein Mann mit einer monströsen, frisch vernähten Wunde auf dem kahlen
Schädel ging zwischen den Lagern umher wie ein Schlafwandler.
    Es gab auch Menschen, die nicht zur Besatzung der Festung gehört
haben konnten. Greise, junge Kinder, die sich hier wohl sicherer fühlten als in
abgelegenen Gehöften. Vielleicht waren sie auch Vertriebene, wie jene
Unglücklichen, denen sie immerfort begegneten, seit sie sich in Milir befanden.
Eine Handvoll Jungen und Mädchen rannte um die Wette einen Hügel hinunter, so
schnell, dass zwei übereinander fielen.
    »Ich bin fertig, Adepta«, rief der Knappe.
    Ajina nickte und besah mit einem flüchtigen Blick das bloßgelegte
Bein. Es war rot verschmiert, was vermutlich von der Arbeit mit der Säge
herrührte. Die Haut war blau und violett von dem gestauten Blut. »Bring mir das
Licht heran«, forderte sie. Während der Knappe den Leuchter holte, kramte sie
in ihrem Beutel nach der Salbe aus dem Mark von Glutkakteen, die die schlimmste
Schwellung verhindern würde.
    »Sie nennen sich ›die Flinken Gnome‹.«
    »Wer?«, fragte Ajina, ohne aufzusehen.
    »Die kleinen Racker.«
    Sie blickte zum Fenster, aber von ihrer Position am Krankenlager aus
waren die Kinder nicht mehr zu sehen. »Sie scheinen es eilig zu haben, ins
Lager zurückzukommen.«
    »Die Dämmerung ist fortgeschritten.«
    Sie fand den richtigen Tiegel und löste den Korken. »Haben die Gnome
Angst vor dem Dunkel?«
    »Natürlich.« Das Licht flackerte, weil die Hand des Knappen bei
diesem Wort zitterte.
    Ajina sah ihn an. Sie hatte sich nicht getäuscht,

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