Feinde der Zeit: Roman (German Edition)

Jenni Stewart! Wie du weißt, ist sie ja ohnehin nicht gerade mein Liebling. Sie ist die einzige Frau hier. Das muss ganz schön hart für sie sein, aber es ist trotzdem keine Entschuldigung dafür, dass sie mir jeden Moment meines Lebens vermiest. Warum hält sie sich nicht an Agent Parker? Oder Miller? Die beiden lassen deutlich mehr den Chauvi raushängen als ich. Mal ganz abgesehen davon, dass sie sie die ganze Zeit schamlos anstarren, was ich NICHT tue. Ich glaube, was ich an ihr am meisten hasse, ist, dass ich keine Ahnung habe, wer sie eigentlich ist. Sie probiert jeden Tag eine neue Rolle aus. Mal ist sie das Mädchen aus dem Ghetto, mal Little Miss Sunshine, mal versucht sie es mit ausländischen Rollen. Sie lässt buchstäblich nichts aus. Ich weiß ja, dass Außenpolitik ihr Spezialgebiet bei Tempest ist, aber kann sie nicht wenigstens mal fünf Minuten sie selbst sein?
    Heute stand Waffentechnik auf dem Lehrplan, und wir mussten schießen, trotz meiner Schulterverletzung. Agent Freeman meint, ich sei ein Naturtalent. Du erinnerst dich, das ist der Typ, der Courtney und mich, als wir dreizehn waren, jeden Tag auf dem Schulweg beschattet hat. Anfangs war ich ziemlich nervös. Zu meinen prägendsten Erfahrungen im Umgang mit Waffen gehört schließlich, dass ich mit angesehen habe, wie Holly erschossen wurde. Außerdem habe ich während eines Halbsprungs, den ich unternommen habe, um mich selbst im Alter von zwei Jahren zu sehen, Raymond, den rothaarigen Feind der Zeit, umgebracht. Nachdem ich damals wieder in meine Homebase im Jahr 2009 zurückgesprungen war, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass Blut an meinen Händen klebte, obwohl da gar keins war. Aber hier schießen wir nur auf Zielscheiben und Pappfiguren. Damit kann ich umgehen.
    Die morgige Prüfung im Scheibenschießen ist meine erste Chance, mal in irgendwas gut abzuschneiden. Aufgepasst, Agent Stewart! Der Neue könnte es dir morgen ganz schön zeigen.

    22 . März 2009
    Ort: Wüste
    Nachdem ich eine Woche Zeit hatte, Fakten und Erfahrungen zu sammeln, hab ich allmählich eine Vorstellung davon, wie ein typischer Ausbildungstag aussieht:
    5:00–6:30 Uhr: Sport (Läufe über 8 bis 15 Kilometer plus zusätzliche Foltermaßnahmen durch Freeman oder Dad).
    6:30–7:30 Uhr: Duschen (es gibt nur sechs transportable Duschkabinen, was einem die Motivation verleiht, als Erster mit dem Sportprogramm fertig zu werden) und frühstücken.
    7:30–12:30 Uhr: Unterricht in den jeweiligen Spezialgebieten. Für mich und drei andere bedeutet das: Training an der Waffe, Nahkampf (noch mehr Sport!) und jede Menge Schießübungen, sowohl aus der Nähe als auch aus einem Versteck heraus.
    12:30–13:30 Uhr: Mittagessen (entweder Feldrationen oder Erdnussbutter-Sandwiches, es sei denn, wir kochen uns Hotdogs und Bohnen über einem Feuer, aber normalerweise will keiner in der Mittagshitze Feuer machen und draußen sein).
    13:30–15:00 Uhr: Fremdsprachenunterricht (ich hab meinen mit Dad und manchmal auch mit Dr. Melvin; keine Ahnung, was die anderen machen).
    15:00–18:00 Uhr: Verdeckte Operationen; manche sind darauf spezialisiert, aber wir müssen alle lernen, wie man einen Verdächtigen beschattet, herausfindet, ob man selbst beschattet wird, Abhöranlagen installiert oder findet und Sprengstoff erkennt, lauter solchen Kram.
    18:00–19:00 Uhr: Abendessen; meistens wird draußen gekocht. Marshall und Dad fliegen gelegentlich mit dem Hubschrauber in die Stadt und bringen frische Lebensmittel und Sachen mit, die mal nicht dafür gemacht sind, auch einen Atomkrieg zu überstehen. Entsprechend ist das der Höhepunkt des Tages.
    19:00–22:00 Uhr: Das variiert. Mal machen wir Rollenspiele und studieren unterschiedliche Identitäten ein, mal büffeln wir für unsere Prüfungen in Geographie und Geschichte. Bislang gab’s jeden Tag was anderes.
    22:00 Uhr: Um diese Zeit sollen wir eigentlich schlafen, aber mir ist aufgefallen, dass so ziemlich alle ihre Bücher und Computer zücken, um alte Tempest-Aufzeichnungen zu studieren und sich vorzubereiten auf … na ja … alles.

    25 . März 2009
    Ort: Wüste
    Fakten über die Enemies of Time, die Feinde der Zeit: Von 1983 bis in die Gegenwart sind zwölf verschiedene EOTs gesichtet worden. Wir haben uns heute sämtliche verfügbaren Fotos und Basisinformationen über sie eingeprägt.
    EOTS, denen ich begegnet bin:
    Thomas (wurde seit 2005 nicht mehr gesehen; meine Erlebnisse in dem 2007er Paralleluniversum oder in dem