Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
mir den Hörer aus der Hand und knallte ihn zurück auf die Gabel. »Kennst du überhaupt seine Nummer?«, fragte er, während er Marshall von seinem Handy aus anrief.
Ich grinste schief. »Äh, nein.«
15. März 2009, 21:00 Uhr
»Wenn ich einen Halbsprung mache, bin ich noch immer in diesem Raum, aber gleichzeitig auch woanders, eben da, wo ich hinspringe«, versuchte ich Dr. Melvin und Chief Marshall zu erklären. Aus ihren Mienen sprach Skepsis, so als hätte ich mir diesen ganzen Teil der Zeitreisen einfach zusammenphantasiert. »Ich kann es beweisen. Geben Sie mir eine Aufgabe, lassen Sie mich irgendwas nachschlagen oder stellen Sie mir eine Frage, die ich nur beantworten kann, wenn ich in der Vergangenheit nachgesehen habe.«
»Aber du bist jetzt doch nur hier, oder?«, fragte Dad. »Du sitzt nicht gleichzeitig noch irgendwo anders und siehst dort aus wie scheintot, oder?«
Das Ganze war verdammt verwirrend, das war mir klar, trotzdem frustrierte es mich, diese merkwürdigen Phänomene zum millionsten Mal erklären zu müssen. Ich legte mich auf die Wohnzimmercouch und seufzte. »Ich bin nicht nur halb hier. Ich bin vollständig hier in diesem Raum. Ich habe einen ganzen Sprung aus einer anderen Zeitleiste gemacht, um hierherzukommen.«
»Und wie kannst du dir da so sicher sein?«, fragte Chief Marshall.
»Weil es sich anders anfühlt, wenn ich Halbsprünge mache. Meine Sinne sind dann irgendwie abgestumpft, und ich empfinde weder heiß noch kalt, noch Schmerzen so stark, wie ich es sonst tue.« Wie um meine Aussage zu bestätigen, spürte ich plötzlich einen pochenden Schmerz in meiner verletzten Schulter und rieb mit meiner freien Hand darüber, doch davon wurde es nur schlimmer. »Ein Halbsprung ist wie ein Schatten der Zeitleiste, in der ich mich gegenwärtig aufhalte. Weshalb sich in meiner Gegenwart oder Homebase auch nichts verändert.«
Diese Erklärung war vom 07er Adam geklaut; aber auf diese Weise klang ich wenigstens so, als wüsste ich, wovon ich redete.
»Und du betrachtest die Zeitleisten als Welten, die parallel zueinander verlaufen?«, fragte Dr. Melvin. »Nur damit hierüber Klarheit herrscht: Für dich ist es ein ganzer Sprung, wenn du in eine andere, parallele Welt reist und nicht einfach innerhalb derselben Welt durch die Zeit springst?«
»Richtig. Und ich weiß ganz sicher, dass es mehrere Zeitleisten gibt, weil ich zurück ins Jahr 2007 gereist bin und das kein Halbsprung war; ich war vollständig dort und hab Schmerzen und Kälte und all das empfunden«, leierte ich alles noch einmal herunter. »Dann bin ich in meine Ausgangszeitleiste zurückgekehrt, und es war das Jahr 2009, und jene Versionen von Ihnen allen hier erinnerten sich an nichts von dem, was in dem Jahr 2007 passiert war, aus dem ich gerade zurückgekommen war.«
In meinem Kopf drehte sich schon alles, dabei hatte ich das Gefühl, dass wir noch ganz am Anfang standen.
»Vielleicht sollten wir uns diese Fähigkeit mal näher anschauen und ihn uns so einen Halbsprung vorführen lassen«, sagte Mr Melvin. »Allerdings möchte ich ihn ungern einer Gefahr aussetzen, zumal mit dieser Schusswunde.«
Chief Marshall hob die Hände und lehnte sich gegen den Kaminsims. Das alles hier erinnerte mich an unser Gespräch im Jahr 2007, als er mich mit einem präparierten Tuch betäubt und in dieses geheime Hauptquartier verschleppt hatte. »Der Junge wird keinerlei Zeitreisen unternehmen, es sei denn, wir ordnen sie ausdrücklich an, ist das klar?«
Dr. Melvin und ich nickten widerstrebend.
»Ich glaube, Sie freuen sich etwas zu früh, Dr. Melvin.« Marshall verschränkte die Arme vor der Brust und starrte von oben auf mich herab. »Mag ja sein, dass er einige neue Tricks gelernt hat, aber er ist noch nicht reif genug, um die Folgen seiner Handlungen abschätzen zu können. Du sagst, Raymond sei derjenige gewesen, der auf dich geschossen hat?«
»Ja«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne. Diese Version von Marshall war kein Stück besser als die anderen beiden, die ich kennengelernt hatte.
»Und Raymond ist nach deiner Beschreibung ein nicht allzu großer, rothaariger Mann, etwas untersetzt, blaue Augen, kurze, abstehende Haare? Und sein Gesicht weist einen Schuhabdruck auf, der vielleicht nie mehr weggeht, vielleicht aber auch doch?« Marshall befragte mich, als befände er sich in einem Polizeiverhör mit einem völlig verblödeten Verdächtigen.
Vielleicht hatte Dad ja recht. Vielleicht sollte ich es mir doch
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