Feindesland
schnell den Feind zu erkennen. Die U-Bahn fährt los. Die Slawen wackeln mit den Füßen. Niemand spricht. Auf einem kleinen Monitor wirbt die Berliner Philharmonie für ihre Konzertreise. Es folgt ein Nachrichtenticker. Die Regierung plant weitere konsequente Maßnahmen zum Schutze des Klimas, der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit. Hillary Clinton hält Barack Obama den Rücken frei. Per Mertesacker hält Michael Ballack den Rücken frei. Es ist wichtig, dass man jemandem den Rücken freihält.
Der Slawe wippt.
Hartmut schnalzt mit der Zunge.
»Und?«, frage ich die Slawen. »Wisst ihr zufällig, wo man hier einen Job bekommt?«
Sie sehen uns an. Hartmut schnalzt nicht mehr. »Es ist eine große Stadt«, sage ich.
»Es gibt viele Jobs zurzeit«, sagt der Größere der beiden, und sein Kollege lacht und sieht dabei aus dem Fenster. Die U-Bahn verlässt gerade den Tunnel. »Aber solche Vögel wie euch würden bei uns sowieso nicht eingestellt.« Sein Kollege kichert stärker, die Hand vor dem Mund, die Stirn an der Scheibe.
Ich spüre Hitze in meinem Solarplexus.
»Was soll das denn heißen?«
Hartmut berührt ganz sachte meinen Arm. Das soll schon wieder bedeuten, dass ich keinen Streit anfangen darf. Es regt mich allerdings noch mehr auf. Hartmut hat früher in unserem Viertel in Bochum die Strom- und Wasserzufuhr des ganzen Stadtviertels gekappt, um die Menschen durch Not zu vereinen. Er hat einen unvorbereiteten Mann mit einer Wrestling-Closeline vom Fahrrad geworfen, um die Ideologie männlicher Kampfbereitschaft zu subvertieren. Er hat noch vor wenigen Wochen im Superstau auf der Autobahn die ganze Bevölkerung mit einer Pizza-Orgie und einer Brandrede gegen die Volkserzieher aufgewiegelt und am nächsten Morgen einen GEZ-Fahnder mit der Thermoskanne niedergeschlagen.
Hartmut war in unserer Freundschaft schon immer der Aktivist, während ich nur in der Badewanne liegen, Spiele auf der grauen Playstation spielen und meine Ruhe haben wollte. Hartmut ist der Laute von uns. Aber mit Russen in der U-Bahn darf man sich bei ihm nicht anlegen! Oder mit Veranstaltern im »Kellerloch«, die Sozialstündler ohne Gehalt Stühle schleppen lassen. Es ist, als säße immer noch eine Instanz in ihm, die es ihm verbietet, gewisse Typen und Klassen von Feinden einfach nur zu bekämpfen wie alle anderen auch. Wäre er eine Figur in einem Videospiel, wäre das ein fataler Defekt.
»Also, was soll das heißen?«, frage ich noch mal.
Der Slawe sagt: »Die Jobs, die wir machen, macht ihr nicht. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Und jetzt lass mich in Ruhe.«
Die Bahn hält, eine Schulklasse drängelt vor den Türen, und die jungen Slawen verlassen schnell den Zug. Ich blicke ihnen nach wie der giftige kleine Fußballer Deco, wenn er sich überlegt, einen Gegenspieler nachträglich von hinten zu foulen. Hartmut schüttelt den Kopf.
Das Verlagsgebäude liegt in einem Viertel, in dem verzierte Fassaden aus dem 19. Jahrhundert auf architektonische Geschmacklosigkeiten der Jetztzeit treffen. Die Freifläche eines Gebrauchtwagenhändlers mit silberblau flackernden Girlanden. Eine weiße, auf Wohnwagenrädern stehende Frittenbude. Ein Billigmöbelhaus mit achtteiligen Couchlandschaften für nur 888 Euro. Der Verlag residiert in einem der verzierten Gebäude, einem fünfstöckigen Herrenhaus mit Plexiglas-Firmenschild. Im Eingang hinter der schweren Tür sitzt ein Pförtner hinter Glas.
»Wir haben einen Termin bei Frau Hasselbeck«, sagt Hartmut. »Der Herr Kuntze hat das für uns ausgemacht. Mein Lektor von der Konkurrenz.« Hartmut lacht.
Der Portier schlägt nach.
»10:30 Uhr, ja, alles klar. Fahren Sie bitte in den dritten Stock, Aufzug links, Frau Hasselbeck wird Sie dann oben in Empfang nehmen.«
Frau Hasselbeck trägt einen merkeligen Anzug und eine Brille mit schmalem, schwarzem Gestell. »Herzlich willkommen. Herr Kuntze sagte mir, dass Sie auf Jobsuche sind?«
Hartmut nickt, folgt Frau Hasselbecks Geste in eine Teeküche mit Kaffeeautomat, nimmt eine Tasse entgegen und spricht während der ganzen Zeit. Er redet über seinen Studienabschluss und seine Publikationen, über Nietzsche und Luhmann und über die jüngsten deutschen Literaturpreisträger. Als er fertig ist, sagt Frau Hasselbeck: »Ich führe Sie erst mal kurz durch den Verlag.« Sie drückt mir ebenfalls eine Tasse in die Hand. Wir fahren in die 4. Etage. Dort sitzen jeweils zwei Frauen in einem Büro, telefonieren, machen Anstreichungen in
Weitere Kostenlose Bücher