Feindesland
als würde ein 21-Jähriger von seinem Stiefvater erstochen. Dann setzt ein Schlagzeug ein. Ein Gitarrenriff. Hartmut klickt es weg. »Verzeihung«, sagt er, »war ein Link zu einer MySpace-Band.«
Unten auf der Straße wird das adoleszente Gelärme lauter. Ein junger Mann brüllt: »Ey, seh isch aus wie'n Opfer, oder was? Isch fick disch mit der Faust, pic!« Es ist kein gutes Viertel. Wir haben wenig Geld.
Die Wohnungstür schwingt auf. Ein paar Arbeitshandschuhe fliegen auf die Couch, ein Schlüssel kracht auf einen Umzugskarton. Es folgen ein Handtuch, eine Geldbörse und ein alter Walkman. Dann Susanne. Seufzend. Sie streichelt kurz Yannick, der vor Super Monkey Ball sitzt, aber auch nicht weiter kommt als wir, betritt die Küche, wuschelt ihrem im Internet surfenden Freund durch die Haare, lässt sich von Caterina Kaffee einschenken und sagt zu ihr: »Oh, danke, Schatz. Und wie war dein Tag?«
Caterina lacht und erzählt es ihr in knappen Worten.
Susanne nickt anerkennend und bläst, an die Arbeitsplatte der Küche gelehnt, in ihre Tasse. Durch den Dampf fragt sie: »Was bringt das ein?«
Caterina sagt: »1250 Euro.« Susanne zieht die Augenbrauen hoch. »Ich weiß, es ist nicht viel«, sagt Caterina. »Aber selbst dafür musste ich noch handeln. Der Chef klagte, die Zeiten seien schlecht, wir schrieben nicht mehr 1999, Werbung sei wieder Knochenarbeit, der Boom längst vorüber.«
»Man muss halt mal schauen, wie man das mit dem Geld macht...«, zitiere ich ins Blaue, und beide Frauen sehen mich an, als wäre ich heimlich bei ihren Bewerbungsgesprächen dabei gewesen.
»Ja, genau!«, sagen sie synchron.
»Mein Gehalt wurde getriplet«, sagt Susanne. »950 Euro auf reguläre Art, 400 Euro als Minijob und die Reparaturen an den Autos schwarz. So spart er Steuern, sagt Herr Warnke.«
»Ich bekomme meins regulär«, sagt Caterina. »Und jeden Tag ein großes Frühstücksbuffet gratis. Mittagessen gibt es auch in der Agentur, für 2,50 Euro. Wer bis nach 20 Uhr bleibt, darf auf Kosten des Hauses Pizza bestellen.«
»... und wer in der Firma seinen Nachwuchs gebiert, bekommt Zuschuss zum Kindergeld«, brummt Hartmut vor seinem Monitor.
Susanne sagt: »Wie steht es eigentlich um deinen Job, Hartmut? Um eure Jobs?«
Jetzt brummt Hartmut ohne Grammatik. Das ist Antwort genug. Draußen auf der Straße hört man auch keine Worte mehr. Nur Turnschuhe auf Asphalt, Gerangel und ein Geräusch, das klingt, als setze der Typ von eben seine Ankündigung wörtlich in die Tat um. Caterina zuckt ein bisschen zusammen, unmerklich, nur Partner sehen so was. Ich gehe zu ihr und nehme sie in den Arm. Nebenan fällt Ai Ai mit einem Schrei in die Lava. Yannick schafft es zwar nicht, das Äffchen heil durch den Level zu bringen, aber er hat zumindest verstanden, wie man ihn immer wieder neu startet. So schickt der Kater den Affen immerfort in den Tod.
»So«, sagt Hartmut, klappt den Laptop zu und wedelt mit einem Zettel: »Offene Stellen. Es kann weitergehen.«
Susanne nickt anerkennend und kaut einen Keks. Ich kraule Caterina den Rücken. Vor dem Fenster auf der Straße geht die Gruppe Jugendlicher schnell auseinander, wie ein Ameisenhaufen, in dessen Mitte man einen Bruchstein geworfen hat. »Schnell weg, die Russen kommen!«, höre ich den Faustficker rufen. Dann entfernen sich alle Turnschuhe.
Musik im Bunker
Hartmut hat ein Stellenangebot eines Musikmagazins aus dem Internet gefischt. Gesucht werden ein Redakteur und ein Verlagsmitarbeiter. Unschwer zu erraten, wer von uns der Redakteur werden soll. Hartmut kennt sich mit Musik aus, und Hartmut kann schreiben. Ich erzähle zwar gerne von unseren Erlebnissen, aber ich wäre wohl kaum fähig, sie strukturiert zu Papier zu bringen. Wie ich allerdings Verlagsmitarbeiter werden soll, begreife ich immer noch nicht, als ich mit Hartmut in die Tram steige und überirdisch unserem Ziel entgegenruckle. Er erklärt es mir, ein drittes Mal, solche Dinge recherchiert Hartmut immer sehr genau: »Aufgaben im Verlag haben nichts mit Aufgaben in der Redaktion zu tun. Im Verlag wird die Produktion überwacht, wird telefoniert, das Archiv gepflegt, Nachbestellungen bearbeitet. Im Verlag holt man die Lizenzen für Lieder ein, die auf der Heft-CD untergebracht werden sollen. Im Verlag schimpft man mit Plattenfirmen, die nicht aus dem Quark kommen, und mit Anzeigenkunden, die ihre Versprechen nicht halten. Man räumt die Paletten mit den Belegexemplaren fürs eigene Haus ab.«
»Man
Weitere Kostenlose Bücher