Feindgebiet
Problem dabei war, dass ihnen die Zeit davonlief.
St. Clair sollte in der nächsten Nacht beim großen Ausbruch dabeisein. Wenn es ihr nicht gelang, den Goldenen Wurm zu installieren, mussten sie wieder ganz von vorne anfangen. Nach der Flucht würden die Vergeltungsmaßnahmen die ganze Sache möglicherweise ohnehin zum Scheitern verurteilen. Denn der Goldene Wurm war ihre einzige Hoffnung, die Tahn davon abzuhalten, ihnen allen die Kehlen durchzuschneiden.
Sten marschierte in Virungas Zelle. Nur der alte Mann selbst war anwesend und grüßte militärisch. Seine düstere Miene verriet Sten sofort, dass etwas sehr schiefgelaufen war. Er nahm an, dass es etwas mit einem schlimmen Fehlschlag zu tun hatte einem Fehlschlag in Zusammenhang mit dem Goldenen Wurm.
»Sie haben sie erwischt«, sagte Sten ohne Einleitung. Er meinte St. Clair.
»Nein«, erwiderte Virunga. »Sie … war erfolgreich. Aber … da gibt es … noch etwas.«
Sten beschloss, einfach zu abzuwarten, bis Virunga es ihm mitteilte.
»Wie Sie wissen … St. Clair … absoluten Zugang. Zum Computer.«
Sten nickte. Fahstr ließ St. Clair in ihrer Freizeit nach Belieben auf ihrem Computer herumdaddeln. Wenn sie Fahstr eine ebenbürtige Gegnerin sein wollte, brauchte St. Clair ein wenig Zeit, um sich mit neuen Bridge-Strategien vertraut zu machen. Sten hatte das nicht als ernstes Problem eingeschätzt.
Das einzige, was in diesem Computer verzeichnet war, waren die banalen Details des Lebens auf Koldyeze: die Gehaltsliste der Tahn und die allgemeinen Files der Gefangenen. Sten wusste nicht, was es bringen sollte, in dieser Richtung herumzuschnüffeln.
»St. Clair … etwas aufgefallen«, sagte Virunga und unterbrach Stens Gedankenfluß.
Dann holte er weiter aus: als sich St. Clair unter Fahstrs Codenamen in den Computer einloggte, wurde sie mit den anderen Leuten bekannt, die das gleiche System benutzten; sie erfuhr auch, wie oft jeder einzelne es benutzte. Vor kurzem war ein weiterer Codename aufgetaucht. Nicht nur, dass er niemandem innerhalb des Lagers zu gehören schien, der User klickte sich auch mit einem ganz gewöhnlichen Eins-Plus-Eins-Plus-Eins-Muster durch die Dateien, was zwar lähmend langsam vor sich ging, andererseits aber auch garantierte, dass nicht das geringste Detail übersehen wurde.
St. Clair wurde neugierig und wollte herausfinden, wer diese Person war und wonach sie eigentlich suchte.
»Hat sie etwas herausgefunden?«
»Nicht … den Sucher«, erwiderte Virunga. »Nur das, wonach … gesucht wurde.«
»Na schön. Was suchte dieser Unbekannte also?«
»Sie«, sagte Virunga.
Sten war wie vor den Kopf gestoßen. »Aber wie …«
Virunga erzählte ihm auch den Rest der Geschichte. Der Unbekannte durchsuchte die Dateien nach jemandem, auf den Stens Beschreibung passte. Es handelte sich um eine methodische Suche, die darauf angelegt war, jede Tarnung oder falsche Identität zu durchleuchten. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis Stens File auftauchte. Virunga nahm, gewiss nicht grundlos, an, dass derjenige, der Sten suchte, es nicht deshalb tat, weil er ihn umarmen, abküssen und mit einem Berg Geschenke überhäufen wollte.
Fazit:
»Sie … und Kilgour … müssen gehen!«
Sten blieben keine weiteren Argumente mehr. Er und Alex würden mit den anderen fliehen. Jetzt musste er nur noch sein Fluchtteam ein letztes Mal zusammentrommeln und sie in die hoffentlich letzte Abänderung ihres Plans einweihen.
Die Neuigkeit wurde von den anderen schweigend aufgenommen. Sie gingen kurz die Rollen durch, die sie spielen sollten, überprüften, ob Sten und Alex Auswirkungen auf sie haben würden, sahen, dass es keine Einwände dagegen gab, und zuckten einfach die Schultern. Je mehr, desto besser.
Dann erhob sich St. Clair und verkündete, dass es noch eine weitere Veränderung geben würde. Sie wollte nicht mehr solo gehen. Sie würde L’n mitnehmen.
»Etwas Dümmeres habe ich schon lange nicht mehr gehört«, platzte Sten heraus, bevor Alex ihm den Ellenbogen in die Seite stieß und vorschlug, diplomatischer mit St. Clairs Entscheidung umzugehen. Später teilte Alex Sten mit, dass Sten zuerst hätte zögern sollen – und der Frau dann sagen müssen, dass sie durch den Wind war.
»Ist mir egal«, entgegnete St. Clair. »So wird es jedenfalls laufen.«
Bevor Sten die Dummheit begehen konnte, es ihr zu verbieten, spielte sie ihr As aus.
»Versuchen Sie nicht, mich davon abzuhalten. Wir werden beide morgen nacht rausgehen
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