Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
davon zum Glück weniger, als ich immer gedacht habe«, antwortete er und schüttelte Jeb die Hand, ohne zu merken, dass er eine Schlacht gewonnen hatte, von der er gar nicht wusste, dass er sie führte.
Felicity ging in den Garten zu ihrem Vater, der auf einer Bank saß, und nahm neben ihm Platz. Er sah müde aus.
»Ich ruhe mich nur ein bisschen aus«, sagte er und lächelte ihr zu.
Sie saßen schweigend beieinander und genossen die letzten Sonnenstrahlen.
Er nahm die Hand seiner Tochter. »Verzeih mir, Felicity«, begann er. »Ich hätte dir unsere Familiengeschichte selbst erzählen sollen, statt es darauf ankommen zu lassen, dass du von anderen erfährst, was passiert ist … Und dann, als ich es unbedingt wollte, konnte ich es nicht.«
Felicity lächelte ihm ermutigend zu, aber sie schwieg.
»Ich hätte nicht so schwach sein dürfen.« Seine Stimme klang belegt.
Felicity runzelte die Stirn. »Aber wie hättest du darüber hinwegkommen können? Es muss schrecklich für dich gewesen sein.«
»Ich bin so stolz auf dich«, sagte er.
»Alleine hätte ich das niemals geschafft.«
Mr Gallant sah seine Tochter zärtlich an. »Man kann den Charakter eines Menschen an seinen Freunden erkennen«, sagte er, »und ich finde, dass deine Freunde dir ein gutes Zeugnis ausstellen.«
Felicity lächelte, ihr wurde von innen ganz warm. »Ich bin froh, dass sie dir gefallen.«
»Mir ist klar geworden, dass wir vieles falsch gemacht haben«, sagte Mr Gallant traurig. »Wir hätten dir mehr Freiheit lassen sollen, deine Kindheit unbeschwert zu genießen. Aber wir haben uns immer Sorgen gemacht, dass du …« Er brach ab. »Ich habe es deinem Großvater nie verziehen, dass er mich alleingelassen hat, ich wollte die Vergangenheit ignorieren, ich tat einfach so, als hätte es die Gentry und alles, was dazugehört, nie gegeben … Aber heute warst du unglaublich tapfer.« Er lächelte stolz. »Und da habe ich plötzlich erkannt, dass es in der Gentry, so wie sie ursprünglich war, viele gute Dinge gab: Mut, Tatkraft, Unternehmungsgeist – das alles hast du heute bewiesen. Und ich verspreche dir, dass ich in Zukunft versuche, unser Familienerbe anzunehmen und ihm Ehre zu machen.«
Felicity umarmte ihren Vater und drückte ihn so fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.
In der Bibliothek nahm Miss Cameron ihr privates Exemplar der Abhandlung über Die Entstehung von Geschichten aus einer Schublade. Das Buch war nicht gebunden, es bestand aus losen Blättern und war viel umfangreicher als der Band, den Abednego Felicity damals gegeben hatte. Und auf dem Titelblatt prangten die Namen von vier statt von drei Herausgebern: Hodge, Heyworth, Helerly … und Cameron.
Neben ihr stand ein Mann mit faltigem und verwittertem Gesicht und blauen blitzenden Augen. Die Bibliothekarin zeigte ihm ein neues Kapitel, das mit Felicity Gallant überschrieben war. Der Alte betrachtete es stolz. »Ohne Liebe bin ich nichts«, sagte er. »Das habe ich von Ihnen gelernt.«
»Es wäre ja auch schrecklich, wenn Sie das Andenken Ihres Kindes nur mit Hass und Rache ehren könnten«, sagte sie.
Rafe nickte. »Ja, so ist es besser«, sagte er. »Eine Urgeschichte, die zeigt, dass jedes Kind, das einsam und ausgegrenzt ist, die Freunde findet, die es braucht, und die Liebe, die es verdient, Felicitys Geschichte.«
Miss Cameron lächelte.
»Sie ist eine Wiedergutmachung für das, was ich Ruby und Tom … allen meinen Kindern schuldig geblieben bin«, fuhr er traurig fort. »Was müssen Sie von mir gedacht haben, als ich an jenem Abend halb wahnsinnig bei Ihnen auftauchte und Ihnen das Buch in die Hand drückte?«
»Sie waren außer sich vor Trauer und Schmerz«, sagte Miss Cameron. »Kein Wunder, Sie hatten ja Ihre Tochter verloren und die ganze ungeheuerliche Wahrheit über Ihre Ehefrau erfahren.«
»Wie konnte ich nur so dumm sein?« Rafe schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass sie ihre Macht über den Wind benutzt hatte, um sich skrupellos zu bereichern, und ich dachte nicht daran, wozu sie sonst noch fähig war.«
»In dem Buch sind all ihre Verbrechen festgehalten.«
Rafe nickte. »Als ich entdeckte, dass sie Ruby umgebracht hatte, konnte ich den Gedanken nicht ertragen, dass irgendetwas, das Aura gehörte, im Haus blieb. Ich ging in ihr Zimmer, um alles auszuräumen, und da fand ich das Buch. Ich brauchte nur ein paar Seiten zu lesen, um das ganze Ausmaß ihrer Grausamkeit zu erkennen, und ich erfuhr auch, zu welchen Mitteln sie
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