Felidae
diese Zeit befand sich kein Mensch auf der Straße, und es herrschte stets eine himmlische Ruhe. Die Katzen standen meist in kleinen Gruppen zusammen oder hockten vereinzelt auf hohen Stellen, wie zum Beispiel auf einer Mülltonne, und schienen untereinander in eine lautlose Zwiesprache vertieft. Die Szene wirkte recht gespenstisch auf mich, denn ihrem Verhalten haftete etwas äußerst Geheimbündlerisches an. Vermutlich ist das der Zeitpunkt, an dem sie Geheimpläne gegen uns Menschen schmieden, dachte ich amüsiert, während ich die zusammengefalteten Zeitungen in die Briefschlitze schob. Doch was für Geheimnisse konnten sie austauschen, welche so brisanten Pläne aushecken? Und plötzlich, einfach aus einem blöden Gedankenspiel heraus war der Plot zu FELIDAE geboren: Die Katzen streben die Weltherrschaft an!
An einem Wochenende ging ich zu meiner Freundin in die Weinpinte, um sie von der Arbeit abzuholen. Es dauerte noch eine Weile, bis sie Feierabend machen konnte, und so hockte ich mich an die Theke, bestellte ein Glas Wein und vertrieb mir die Zeit mit meiner Lieblingsbeschäftigung, nämlich dem Tagträumen. Erneut musste ich an die Katzen in den morgendlichen Straßen und an ihre vermeintlich bösen Absichten denken. Sie mussten so eine Art Anführer, einen finsteren Patron mit finsteren Absichten haben, spekulierte ich. Ich sah diesen düsteren Kater mit einem Mal vor mir, ja vernahm sogar seine sonore Stimme. Er sagte: »Die Welt ist eine Hölle! Was für eine Rolle spielt es, was in ihr passiert?« Natürlich hatte er sich das nicht selbst einfallen lassen, sondern es war ein Zitat aus dem Hitchcock-Klassiker »Shadow of a Doubt«, die Worte des Frauenmörders, der die Menschen verachtet und deshalb seine Schandtaten für durchaus legitim hält. Rasch schrieb ich die Zeilen auf einen Bierdeckel, und ehe ich mich versah, war der ganze Prolog des Buches fertig. Danach wurde mir einiges klar: Ich musste dieses Buch schreiben, ob Kinderquatsch oder nicht. Andernfalls bestand nämlich die Gefahr, dass ich bis zu meinem Tode in den unmöglichsten Situationen und an den unmöglichsten Orten immer wieder an diese gespenstischen Katzen und ihre verwerflichen Weltherrschaftspläne denken musste. Wahrscheinlich würde ich irgendwann den Verstand verlieren, nackt durch die Straßen laufen und dabei lautes Miau-Gejaule von mir geben.
Akif nach einer durchgearbeiteten Nacht an FELIDAE
Die Lebensphase, in der ich an FELIDAE arbeitete, war die absonderlichste, die ich je durchgemacht habe. Einerseits nahmen die Geldsorgen immer noch kein Ende, im Gegenteil sie potenzierten sich sogar. Anderseits aber tauchte ich während des Schreibens mit derartiger Intensität in die dunkle und aufregende Welt der Katzen ein, dass sie mir gewissermaßen als eine Art Droge diente, die mich aus meiner öden Realität fortriss. Umfangreiche Recherchen in Tierheimen, bei fanatischen Katzenhaltern, die ihre spitzohrigen Hausbewohner geradezu vergötterten, und in Instituten, die widerwärtige Versuche mit Katzen betrieben, folgten. Doch am Schönsten waren die tausend Zufälle, die mir die Arbeit an den wichtigsten Punkten der Geschichte abnahmen. Ein paar Beispiele ... Der Hauptteil der Recherche bestand darin, alles, was Wissenschaftler über Katzen je zu Papier gebracht hatten, zu sichten. Bereits in dem ersten Buch, das ich mir diesbezüglich anschaffte, fand ich eine Perle. Gleich am Anfang waren darin die Zeilen zu lesen: »Die Katzen bilden eine festumrissene Familie innerhalb der Carnivoren (Fleischfresser); sie gehören der Säugetierklasse an und werden wissenschaftlich Fe1idae genannt.« Das Wort faszinierte mich auf Anhieb, zog mich magisch an. Es hatte einen geheimnisvollen Klang, geradeso, als sei es ein Zauberspruch, mit dem man versunkene Reiche heraufbeschwören könnte. Es hatte also den Bruchteil einer Sekunde bedurft, um den Titel meiner blutigen Katzensaga zu finden. Das fing ja gut an!
Schon ein paar Seiten später wurde mir ein weiteres Problem abgenommen. Ich hatte es mir sehr schwierig vorgestellt, dem Leser glaubhaft zu machen, dass Katzen einander tatsächlich umbringen. Vor allen Dingen, wie bewerkstelligen sie es? Mein Vorhaben war es, mich mit der verschwommenen Erklärung durchzupfuschen, Mörder und Opfer hätten halt so lange miteinander gekämpft, bis das Letztere seinen vielen Verletzungen erlegen wäre. Es wäre zwar unlogisch gewesen, wenn der Mörder immer wieder einen
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