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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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sich in unbewohnten Räumlichkeiten im Lauf der Jahre ansammelt, stand die ganze Wohnung leer. Was meine Erwartungen bezüglich eines idealen Beobachtungspostens anging, wurden sie weit übertroffen. Der verwahrloste Fußboden war überall geradezu gespickt mit Löchern, die Einblick in die untere Etage gewährten. Das Ganze sah wie die narbige Bombentrichter-Landschaft eines Miniaturweltkrieges aus.
    Ich gelangte immer weiter in das Innere der Wohnung und sah allmählich den flackernden Schein des von unten aufsteigenden Lichtes. Dann schließlich betrat ich das große Zimmer. Der Raum sah genauso aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. So leise, als sei ich ein über den Lebenden schwebender Geist, schlich ich in die Mitte des Zimmers, dorthin, wo der Boden aufgebrochen war und sich ein Loch von etwa einem Meter Durchmesser befand, und blickte nach unten.
    Das, was ich nun unter mir sah, hätte einen Fotojournalisten über Nacht zum mehrfachen Millionär gemacht, wäre ihm von diesem Standort aus nur ein einziger Schnappschuss geglückt. Es war ein unglaublicher Anblick. Etwa zweihundert Brüder und Schwestern drängten, schoben und quetschten sich in die Mitte dieses verdreckten Raumes, in dem die ausgefransten Drahtenden von zwei losen Stromkabeln zusammentrafen und sich funkensprühend kreuzten. Ein greisenhafter Artgenosse mit weißem, mächtig aufgeblähtem Fell, der die sakrale Leier sabberte, pre ß te die Pfote immer wieder auf eines der Kabel, ließ es auf- und abfedern und sorgte so für den kontinuierlichen Kontakt. Einer nach dem andern sprang über die in gleißend helle Blitzverästelungen explodierende Kontaktstelle. Hierbei bekamen sie gehörige Stromschläge verpa ß t, versengten sich stellenweise ihren Pelz und kreischten wie am Spieß. Die Stromstöße ließen sie verstört und ermattet auf den Boden fallen, doch einige total Ausgeflippte unter ihnen hatten offenbar die Schnauze immer noch nicht ganz voll und wollten die Qual von neuem auf sich nehmen. Leider wurden sie von den hinter ihnen stehenden Geisteskranken, die den Mordsspaß gar nicht abwarten konnten, zur Seite gedrängt.
    »Im Namen von Bruder Claudandus!« peitschte der Priester auf seine Schäfchen ein. »Im Namen von Bruder Claudandus, der sich für uns geopfert hat und Gott geworden ist! Claudandus, o heiliger Claudandus, erhöre unser Leiden, erhöre unsere Stimmen, erhöre unser Gebet! Nimm unser Opfer an!«
    »Nimm das Opfer an!« stimmte die Gemeinde wie aus einem Munde brüllend ein.
    »Die Seele des gerechten Claudandus aber ist in Gottes Hand, und keine Qual kann ihn berühren. In den Augen der Toren scheint er tot zu sein; sein Ende wurde als Unglück angesehen und sein Weggehen von uns als Vernichtung. Er aber ist im Frieden!«
    »Halleluja, Claudandus ist im Frieden!« antwortete der Chor inbrünstig.
    Sie waren nun vollkommen in Ekstase geraten. Ein spastisches Zucken und Zappeln nahm von ihren Körpern Besitz, und sie schienen in einen tranceartigen Zustand hinüberzugleiten. Wimmernd und zitternd trieb die Meute vorwärts und hechtete immer schneller und tiefer über die glühenden Drähte hinweg. Die Stromstö ß e schienen denen, die die Drähte streiften, jetzt überhaupt nichts mehr auszumachen. Im Gegenteil, die geballte Ladung machte sie noch wagemutiger und verrückter. Der Sektenführer drückte die Pfote immer öfter und verbissener auf das Kabel, und die aus der Kontaktstelle hervorzischenden Blitze tauchten den Raum in ein gespenstisch blendendes Licht.
    »Denn wenn er auch nach der Ansicht der Bösen geplagt wurde, so war doch seine Hoffnung voll der Unsterblichkeit. Nach nur geringer Züchtigung empfing er große Wohltaten; denn Gott hat ihn geprüft und ihn seiner würdig befunden. Wie Gold im Schmelzofen hat er ihn erprobt und wie ein vollkommenes Brandopfer angenommen. Zur Zeit seiner Heimsuchung ist er aufgeleuchtet und wie Funken in den Stoppeln dahingefahren. Er wird Völker richten und über Nationen herrschen; der Herr wird auf ewig sein König sein! Die auf ihn vertrauen, werden als dann die Wahrheit erkennen, und die treu gewesen sind, werden in der Liebe bei ihm verweilen; denn Gnade und Erbarmen wird seinen Auserwählten zuteil!«
    Ein hysterisches Winseln und Heulen ging bestätigend durch die Menge, die wie eine außer Kontrolle geratene Achterbahngondel unaufhaltsam auf den Gipfel des ganzen Spuks zusteuerte. Es gab immer mehr Verletzte, die von den anderen achtlos zur Seite geschoben

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