Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
gab dir Aurelie den Hinweis mit der Höhle, weil sie wußte, daß darin der Luchs hauste, ein erklärter Feind der Wilden. Sie ging davon aus, daß er dich für ihresgleichen halten und auf der Stelle tö-tö-töten würde.«
»Aber warum haben sie dich so übel zugerichtet, Ambrosius? Ich denke, du bist ihr Retter?«
»Sie wollen keine Spuren hinterlassen und keine Z-Z-Zeugen. Außerdem war ich ja an dem mörderischen Sog, in den sie hineingerieten, nicht ganz unschuldig. Sie machen einen Schlußstrich u-u-unter ihre abscheuliche Vergangenheit und brechen früher als vorgesehen nach Skandinavien auf. Der ganze Schwindel hat keinen Sinn mehr. Sie wollten A-A-Abschied nehmen von mir und baten mich, die Alarmanlage abzuschalten. Di-Di-Diana hat sie anbringen lassen, weil sie sich auch vor ihnen fürch ...«
Ein neuer Blutschwall schoß aus ihm heraus und erstickte seine Worte. Wie von einer unsichtbaren Klaue hochgerissen, bäumte er sich unter Todesqualen auf, gurgelte entsetzlich, hustete weiteren Blutglibber aus und sackte schließlich mit zugekniffenen Augen in sich zusammen.
»Stirb nicht, Ambrosius, bitte stirb nicht!« kreischte ich heulend. Immer noch glaubte ich an ein Wunder, das die Wunden wie von selbst schließen würde.
Noch ein letztes Mal öffnete er seine strahlenden Bernsteinaugen und blickte mich mit einem milden Gesichtsausdruck an, so als käme der Tod einer süßen Droge gleich.
»Was wäre denn so schlimm daran, Francis? Bald werden a-a-alle Tiere sterben. Der Tod senkt sich über uns wie eine giftige Wo-Wo-Wolke. Sie hüllt uns ein, sie erstickt uns. Und Gott schickt keine neue A-A-Arche. Die Schlacht ist geschlagen. Wir haben verloren. Sie sind in der Überzahl. Eines Tages wird der Mensch auf seine Welt blicken und etwas sehr So-So-Sonderbares sehen: abwesende Tiere ...«
So hauchte er seinen letzten Atem aus, ein Geräusch von unbeschreiblicher Zufriedenheit. Meine tropfenden Tränen vermischten sich mit seinem Blut und mein Abschiedsgebet mit seiner aufsteigenden Seele. Behutsam legte ich seinen Kopf in der Blutlache ab, neigte mich zu ihm herunter und rieb meine Nase gegen die seine. Aber trotz aller Trauer sträubte ich mich, seine niederschmetternden Schlußworte zu billigen. Die totale Vernichtung mußte durchaus nicht das unausweichliche Schicksal der Tiere sein. Wir hatten überall Verbündete auf der Welt. Und selbst wenn dem so wäre, wer gab eigentlich den Wilden das Recht, die Apokalypse stellvertretend für den Menschen zu vollstrecken? Hob ein Unrecht ein anderes auf? Und sollten Schandtaten milder bewertet werden, wenn sie von Opfern anderer Schandtaten ausgeführt wurden? Niemals! So billig wollte ich die Wilden nicht davonkommen lassen, obwohl ich mir im klaren darüber war, daß ich gegen eine Horde von Schlächtern nicht das geringste auszurichten vermochte. Aber eins konnte ich tun. Sie verfluchen, ihnen ins Angesicht schauen und sie verfluchen. Und mein Fluch würde sie begleiten, überallhin, wohin sie auch flohen, bis ans Ende ihrer Tage.
Den gewagten Sprung von der gestrigen Nacht absolvierte ich aufs neue. Ich hechtete durch das offenstehende Fenster auf das Dach und von dort in einem verwegenen Flug zur Erde. Der Sturm hatte von seiner bedrohlichen Prahlerei immer noch nicht abgelassen. Es goß in solchen Strömen, daß man leicht den Eindruck gewinnen konnte, im Himmel habe ein Rohrbruch von gigantischem Ausmaß stattgefunden. Blitze schlugen überall ein, und man hörte das Explodieren von Bäumen, die von ihnen getroffen wurden. Während ich in atemberaubender Rasanz durch den Wald preschte, konzentrierte ich mich voll und ganz auf meine unfehlbaren Instinkte, die die Fährte der Mörder schon aufspüren würden. Und genauso geschah es. Ohne eine einzige bewußte Entscheidung änderte ich die Laufrichtung mehrmals, durchdrang dichte Gebüschbarrieren, überquerte unbekannte Waldwege, streifte Bauernhöfe, von denen aus mich hysterische Hunde ankläfften, passierte den Versteinerten Wald erneut, bestieg kahle Felsen und übersprang reißende Bäche. Dann verließ ich die Wälder endgültig und gelangte in ein rein landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Und dort, am Beginn eines kahlen, steil ansteigenden Ackers, vollkommen ausgepumpt und nach Atem ringend, sah ich sie in einer Entfernung von etwa zweihundert Metern.
Eingehüllt von den Regenschleiern, trotteten sie gemächlich auf den Rücken des hügeligen Ackers zu. Wenn sie diese Anhöhe hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher